Kommentar:Unterwürfiges Verhalten

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Kann die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) wirklich eine Organisation sein, die unabhängig, mit vollem Einsatz und modernen Mitteln gegen Betrüger kämpft? Nach den neuesten Enthüllungen um den Wada-Chef Craig Reedie bleibt dies eine naive Hoffnung.

Von Thomas Kistner

Die jüngste Fortschreibung der russischen Staatsdoping-Affäre zielt nicht auf die Enthüllung weiterer Sünder. Sie zielt auf die wahren Urheber. Also nicht auf Sportler, Betreuer oder Analytiker, die in ein System eingebunden sind; nicht mal auf die Schreibtischtäter im Schatten des Kreml. Das Kernübel im industriellen Gaukelspiel mit dem Spitzensport sind die Dachverbände und ihre Bosse. Im Fall Russland das Internationale Olympische Komitee (IOC) - und jene nachgeordnete Organisation, die die Propaganda-Arbeit am Publikum verrichtet: die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Sie übt eine Schlüsselrolle in der olympischen Geschäftsstrategie aus, sie muss einen pharmaverseuchten Sport als sauberes Premiumprodukt verkaufen.

Man stelle sich vor, die Wada wäre eine unabhängige Instanz, die mit allen Mitteln der Laboranalytik und der Kriminalforensik Dopingsünder jagte. Man stelle sich vor, sie schleuste Informanten ins Sportsystem und zöge Whistleblower heraus, sie kooperierte eng mit Behörden und würde ihre ritualisierten Kontrollen speziell in Dunkelbereichen wie Fußball und Tennis durch das ersetzen, was sie ja selbst als "intelligente Tests" bezeichnet: Überraschungs- und Zielkontrollen, wann und wo immer Doping tatsächlich Sinn ergibt. Man stelle sich weiter vor, die Wada würde ihre Arbeit ernsthaft von der obersten Sportebene abwärts betreiben, statt all diese vietnamesischen Pistolenschützen und indischen Gewichtheberinnen auffliegen zu lassen - kurz: Man stelle sich vor, die Wada wäre eine seriös unabhängige, eine ernstzunehmende Organisation: Hallo! Geht's noch?

Was hätte denn der organisierte Sport davon? Wer Doping wirklich bekämpft, zumal im Spitzenbereich, der gefährdet das Erfolgsmodell der globalen Industriesparte Spitzensport. Punkt.

Deshalb brauchen die Ringe-Makler eine Wada: um so tun zu können, als täten sie was. Zugleich muss sie natürlich von IOC-Figuren in Schach gehalten werden. Damit nicht die wirklich engagierten Kräfte (die es leider immer noch gibt im hauptamtlichen Bereich der politisch straff durchgetakteten Verbandsapparate) zu viel aufdecken. Anders gesagt: damit die Sportfahnder keinen Mist bauen.

Derzeit befehligt der Schotte Craig Reedie die Wada, kein Kabarettist könnte sich den Vorsteher des Sportsaubermännerbundes besser ausdenken. Der gelernte Badmintonspieler hat eine spiegelglatte Funktionärskarriere hingelegt, im üblichen Funktionärsalter von 77 Lenzen ist er für das Amt prädestiniert. Also dafür, den Zentralfiguren der Sportindustrie wie Wladimir Putin die tiefe Ergebenheit der Wada-Spitze auch dann zu versichern, wenn hartes Material gegen deren Dopingregime vorliegt - und Whistleblower um ihr Leben fürchten müssen.

Ein ARD-Team hat Reedie nun mit seinem unterwürfigen Verhalten in der Russland-Affäre konfrontiert, mit seinen devoten Mails und all den Widersprüchen, die nur den Schluss zulassen: Der IOC-Mann Reedie hat die Wada (was für ein Interessenskonflikt!) mit aller Kraft zu zügeln versucht, um die Staatsaffäre einzudämmen. Sieht man den Ringe-Herrn vor heiklen Fragen davonrennen, ist klar: In einem Spielfilm käme so eine Figur als Hüter der Sportmoral niemals durch. In einer Dokumentation des realen Sports hingegen ist Reedie die Idealbesetzung.

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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