Kommentar:Steilpass aus dem Kinderzimmer

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Alf-Inge Haaland stürmt 1995 für Nottingham Forest.

(Foto: Mary Evans/imago)

Ganze Psychologen-Bataillone beschäftigten sich einst mit der Frage, warum im Fußball der Vater-Komplex so nachhaltig wirkt. Der Generationenkonflikt ist Vergangenheit, wie auch Familie Haaland zeigt.

Von Klaus Hoeltzenbein

Die Szene ist nichts fürs Familienprogramm. Sie ist unbedingt mit dem Zusatz "freigegeben erst ab 18" zu versehen, doch selbst Erwachsene wenden sich da mit Grausen. Ein Spieler in Rot kommt ins Bild, ein Spieler in Hellblau, der Tathergang ist so brutal wie eindeutig: Der Rote trifft mit ausgestreckter Schuhsohle das Knie des Blauen. Das getroffene Bein biegt sich wie eine Sichel. Der Ball rollt teilnahmslos in der Nähe.

Kein Videoarchiv, das sich den hässlichsten Fouls der Fußball-Historie widmet, verzichtet auf diese Sequenz aus der Saison 2000/01, in der der Ire Roy Keane (Manchester United) dem Norweger Alf-Inge Haaland (Manchester City) in die Gräten senst. Es war eine Tragödie in Shakespearscher Tradition, sie nahm ihren Anfang in einem Disput dieser beiden vier Jahre zuvor, den Dolch der Rache hatte Keane in all der Zeit mit sich getragen.

Der Sohn des Haaland, Erling Braut, war am Tag der Tat nicht einmal ein Jahr alt. Und man hätte meinen können, der Vater hätte später mit Kinderzimmer-Schilderungen über jene und andere Bösartigkeiten des Fußballs den Filius darin beeinflussen können, einen friedlicheren Beruf zu wählen. Falls dies versucht wurde, ist es - zum Glück - misslungen.

Denn so einen Stürmertypen, 1,94 Meter lang, pfeilschnell und trotzdem mit dem Ball auf Du und Du, zudem mit Gerd Müller'schem Torinstinkt gesegnet, hat die Welt noch nicht gesehen. Und dies fällt nun besonders auf, seit Haaland junior am Dienstag der Doppelpack zum 2:1 von Borussia Dortmund in der Champions League gegen das eigentliche Star-Ensemble von Paris St. Germain gelang.

Was zudem auffällt, ist nicht nur dieser Blondschopf, der keinesfalls im Sonderangebot aus Salzburg zum BVB kam. Lucien Favre, sein neuer Trainer, sah sich nach dem Paris-Spiel genötigt, vom Haaland-Hype abzulenken und auf Giovanni Reyna als Vorlagengeber zu verweisen: "Haben Sie den gesehen?", fragte Favre: "Und der ist erst 17 ...". Auch Reyna junior hat einen Ex-Profi als Vater, den US-Nationalspieler Claudio Reyna, der als Spieler in Leverkusen und Wolfsburg etwa auf der Popularitätsstufe von Papa Haaland angesiedelt war - den Söhnen werden funkelndere Karrieren prophezeit.

Psychologen-Bataillone beschäftigten sich einst über Generationen mit der Frage, warum der Vater-Sohn-Komplex im Fußball so nachhaltig wirkt. Warum zum Beispiel die talentierten Nachfahren des Franz Beckenbauer oder Mehmet Scholl beim FC Bayern nicht heimisch wurden. Einer der feinfühligsten im Umgang mit dieser Frage war Uwe Seeler - immer wenn Levin spielte, versteckte er sich im Gebüsch. Levin Öztunali, nun Profi bei Mainz 05, ist nicht Seelers Sohn, er ist sein Enkel. Auch nicht leicht, diese ererbte Ausgangslage, zumal in Hamburg, wo sie einen Wiedergänger herbei sehnen, der Fallrückzieher kann wie Opa Uwe.

Um mit der Vater-Sohn-Frage klar zu kommen, bevorzugen viele Familien heute das Komplementär-Modell: Der Sohn geht weit weg, auf die entgegengesetzte Position. War Papa eine prominente Offensivkraft, stellt sich der Filius ins Tor: So war es bei Familie Klinsmann, der Familie von Ulf Kirsten und sogar in Frankreich, in der Familie Zidane. Oder es klappt umgekehrt: Pascal, Sohn des 1996er-Europameister-Torwarts Andreas Köpke, stürmt für die Hertha in Berlin.

Die Haalands haben eine Zwischenlösung gefunden, beide entschieden sich fürs Feld. Doch dass die Karriere des Juniors einen Knacks bekommen könnte, weil Papa so dominant war, steht nicht zur Debatte. Nicht durch die brutale Roy-Keane-Attacke, aber kurz danach musste Alf-Inge seine Laufbahn beenden, nach 181 Premier-League-Duellen mit 18 Treffern. Beim Sohn besteht die Gefahr, dass er schon jetzt die Uwe-Seeler-Kategorien sprengt: In seinen ersten fünf Bundesliga-Einsätzen kam Erling zu acht Toren.

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