Kommentar:Selbst die Bremen-DNA konnte Skripnik nicht retten

Werder Bremen v Hannover 96 - Bundesliga; Skripnik

45 desaströse Minuten in Gladbach besiegelten seine Entlassung: Viktor Skripnik

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Wie ein Ritter von trauriger Gestalt entwickelte Viktor Skripnik ein Talent darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Er ließ seinem Verein keine Wahl mehr.

Kommentar von Ralf Wiegand

Die Überzeugung, die Werder Bremens Geschäftsführer Frank Baumann jetzt fehlte, um an eine "zeitnahe Wende zum Positiven" zu glauben, hatte Baumanns Vorgänger Thomas Eichin schon im Mai nicht mehr. Eichin wollte bereits damals Trainer Viktor Skripnik entlassen, nach einem Klassenerhalt, den mehr die telepathisch auf die Mannschaft übertragene Emotion einer ganzen Stadt möglich gemacht hatte als irgendeine Idee des Trainers. Am Ende eines kurzen Machtkampfs mit dem Aufsichtsrat musste aber Thomas Eichin selbst sein Büro räumen, Frank Baumann kam, Viktor Skripnik blieb, und die Mannschaft legte einen Saisonstart hin, schlechter denn je.

Werder Bremen im Frühherbst 2016 ist ein typischer Fall von "Hinterher ist man immer schlauer". Und das ist genau die Weltsicht, die im Fußball noch nie funktioniert hat. Kein Geschäft, in dem so viel Geld umgesetzt wird, ist unberechenbarer als dieses; in keiner anderen Branche ist das Betriebsergebnis solch unkalkulierbaren Einflüssen ausgesetzt. Werder Bremen aber hat Tradition darin, der Wankelmütigkeit des Spiels mit Beharrlichkeit entgegenzutreten, das war auch diesmal der Grund, an Viktor Skripnik festzuhalten. Baumann, als Kind des Vereins selbst Teil dieser Philosophie, versuchte stattdessen, dem Trainer eine neue Mannschaft aufs Feld zu stellen, in der Hoffnung, dass der Trainer an ihr wachsen möge. Dass sich diese neue Werder-Elf auch durch ungeheures Verletzungspech niemals präsentieren konnte, gehört zu jenen unvorhersehbaren Ungerechtigkeiten des Sports, mit denen man umgehen können muss.

Treu begleitet nur vom ungeliebten Nachbarn, dem HSV

Viktor Skripnik konnte das nicht. Wie ein Ritter von trauriger Gestalt entwickelte er ein großes Talent darin, stets im falschen Moment das Falsche zu sagen, zu tun und zu lassen. Der Trainer schrumpfte an der Linie auf Zwergengröße, während das Problem auf dem Feld die Gestalt eines Riesen annahm. Indem er Skripnik dennoch schützte, versuchte Baumann, auch die DNA seines Klubs zu schützen, die aus Kontinuität, Verlässlichkeit, Geduld besteht. Er hätte sich noch gerne mehr Zeit gegeben, Haltung zu bewahren - aber die ersten 45 Minuten von Mönchengladbach, ein Dreiviertel-Stunden-Desaster erster Güte, ließen ihm keine Wahl mehr.

Die Macht des Faktischen im Fußball ist erdrückend, sie lässt sich an der Tabelle ablesen, in der Bremen nun seit Jahr und Tag eher unten als oben zu finden ist, treu begleitet nur vom ungeliebten Nachbarn, dem Hamburger SV. Wie ein norddeutsches Miniplanetensystem umkreisen sich die beiden Nordklubs gegenseitig, wobei man ihnen dabei zusehen kann, wie sie langsam verglühen.

Bremen und Hamburg sind in Nichts zu vergleichen außer der Tatsache, dass den hohen Erwartungen stets tiefe Enttäuschung folgt, eine Art Naturgesetz. Und so ist es auch eher eine Laune der Natur, als irgendwie zu erklären, dass das traditionsreichste Derby der Liga - keine Partie gab es öfter - offenbar zwingend irgendwann eine Etage tiefer stattfinden soll. Und erst hinterher wird man wissen, warum es so kommen musste.

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