Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Schwer angeschlagen

Lesezeit: 2 min

Von der Gewichtheber-EM sind 40 Athleten ausgeschlossen: Sie waren nicht für Dopingtests bei der Wada registriert. Der Fall ist beispielhaft für ein Milieu, das Doping lange ignorierte. Der Verband verspricht Besserung. Für den Nachwuchs, für den Sport, kommt das viel zu spät.

Von Volker Kreisl

Gewichtheben könnte ein faszinierender Sport sein. Kompliziert im Training, einfach im Wettkampf, für jeden zu verstehen. Der Athlet schuftet ein halbes Jahr lang im Keller für ein paar Minuten. Wenn es so weit ist, bei Olympia, der WM oder EM, hat er nur einen Gegner, die Hantel, und die Entscheidung fällt in wenigen Sekunden - aber beim Gewichtheben geht es schon länger nicht um Sport, sondern ums Überleben.

Auch die Europameisterschaft in Georgien wird gerade beherrscht vom Thema Manipulation. 41 Heber wurden vorab ausgeschlossen, weil sie mangels Registrierung nicht im System der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada gemeldet, also nicht greifbar für Dopingtests, waren. Ein Zehntel aller EM-Teilnehmer war somit betroffen, manche waren sogar schon angereist und hatten vielleicht gehofft, man werde diese Meldepflicht schon nicht so ernst nehmen.

Der aktuelle Fall, über den der Branchendienst insidethegames berichtet, ist beispielhaft für ein nachlässiges Milieu. Jahrzehntelang konnten Heber ungehindert dopen, und manche wurden dann gleich in Teamstärke ausgeschlossen. Gesperrt wurde zuletzt auch eine Gruppe von neun Verbänden, darunter die besten: Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, China, Kasachstan, Russland, Moldawien, Turkmenistan und die Ukraine setzten für ein Jahr aus. Nachtests hatten ergeben, dass diese Nationen jeweils mindestens drei Dopingfälle bei den Olympischen Spielen 2008 und 2012 hatten. Und dass viele, die bei der EM nun draußen bleiben müssen, noch auf Gnade hofften, kommt nicht von ungefähr. Der Weltverband IWF ist zu flexiblen Entscheidungen fähig. Bei der vergangenen WM ließ er ja auch vier Turkmenen mitstemmen, obwohl die bei der Wada nicht gemeldet waren: Die Vier sollten eben auftreten, bei der WM in Ashgabat/Turkmenistan.

Dabei drohte dieser alten Disziplin schon da der langfristige Ausschluss von den Spielen. Aber weil der Weltverband IWF sich nun reformieren will, signalisierte das Internationale Olympische Komitee Gnade: Gewichtheben ist wohl auch in Paris 2024 noch dabei. Die IWF hatte doch einige Forderungen ernst genommen, Gelder investiert und unabhängige Kontrollen zugelassen, im Grunde selbstverständliche Maßnahmen. Dennoch besteht die Dopingkultur vielerorts fort, zu lange war der Weltverband von einer korrupten Führung geprägt. Und weiterhin gehen Betrugsmeldungen um die Welt, wie man sie in keiner anderen Sportart kennt. Thailands Team zum Beispiel verzichtet auf die Spiele in Tokio 2020, nachdem zwölf Sportler binnen 15 Monaten unter anderem mit Anabolika erwischt wurden.

Für viele aktuelle Nachwuchsheber, die auf natürliche Kraft und die richtige Reiß- oder Stoßtechnik setzen, sind solche Berichte auf Dauer zu viel. Um glaubwürdig zu werden, braucht dieser Sport mehr als ein paar Monate, er braucht Jahre. Die wollen sie nicht umsonst beim Training im Keller verbringen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4403046
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.