Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Schöne Schimäre

DOSB-Präsident Hörmann findet, die Flüchtlingskrise käme "zur absoluten Unzeit". Richtig ist wohl: Die Olympia-Bewerbung kommt zur Unzeit.

Von Peter Burghardt

Gut 50 Mal dürfen die Hamburger noch schlafen, dann sollen sie sich entscheiden, ob sie Olympia 2024 wollen. Sieben Wochen vor diesem Referendum scheint eine Mehrheit dafür zu sein, wobei es so einfach nicht geht: Damit diese Bewerbung ihren Gang gehen kann, müssen nicht nur mehr Wähler für Ja als für Nein stimmen. Es muss auch jeder fünfte Wahlberechtigte mitmachen. Gescheitert ist so ein Plebiszit zuletzt in München, das daraufhin seinen Antrag auf die Winterspiele 2022 bleiben ließ. Schon jetzt darf man fragen, ob Hamburgs Volksentscheid in diesen Zeiten Sinn ergibt.

Genau genommen müssten alle Steuerzahler Deutschlands darüber befinden, ob im Falle einer Ernennung der Hansestadt ungefähr 7,4 Milliarden Euro für Sommerspiele in sieben Jahren ausgegeben werden sollen. Denn den größten Teil des Budgets hätte der Staat aufzubringen. Und das ist nur eine erste Kalkulation, lange vor einem möglichen Baubeginn, noch länger vor Schlussfeier und Kassensturz. Auch wenn die Hanseaten mit ihrem Bürgermeister Olaf Scholz professioneller und transparenter planen als viele Kandidaten zuvor.

Der Bund beteiligt sich diesmal sogar an der Bewerbergesellschaft, vertreten durch den Innenminister Thomas de Maizière. Das ist gewagt, de Maizière hat momentan andere Sorgen. Das gilt gleichermaßen für Hamburg. Natürlich sagen die Betreiber, dass die Aufnahme von Flüchtlingen und die Planung für das Sportereignis sich nicht ausschließen, sondern im Sinne von Wachstum und Optimismus ergänzen. Auch mag mancher Angst haben, ein Ende der Kandidatur könnte auf die Seele schlagen: Hilfe, jetzt trauen sich die Deutschen nicht mal mehr, Olympia auszurichten!

Aber die bunten Fantasien und langen Zahlenreihen wirken in diesen Tagen seltsam, solange niemand weiß, wie viele Schutzbedürftige wo untergebracht werden. Hier theoretische Hallen und Stadien, dort echte Zelte und Container. Auch liest ja kaum jemand den Host-City-Vertrag des IOC, in dem sich die Hüter der Ringe trotz ihrer mutmaßlichen Reformen Steuern, Zölle und Risiken vom Leib halten. Hamburgs Konzept ist gut, Olympia könnte Hamburg prägen, doch modernisieren kann sich eine selbstbewusste Stadt ungezwungener ohne Olympia. Für Hamburg sind die Spiele vorläufig eine schöne Schimäre, Favoriten sind sowieso andere Städte. DOSB-Präsident Alfons Hörmann findet, die Flüchtlingskrise käme "zur absoluten Unzeit". Richtig ist wohl umgekehrt: Die olympische Bewerbung kommt gerade zur absoluten Unzeit.

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SZ vom 09.10.2015
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