Kommentar:Salazars Lotteriespiel

Lesezeit: 2 min

Schwer zu sagen, was in der Affäre um den gesperrten Leichtathletik-Trainer mehr erschreckt: die Skrupel­losigkeit, mit der Salazar offenbar die Regeln dehnte, das Schweigen der Mitwisser - oder das größere Problem, für das seine Affäre längst auch steht.

Von Johannes Knuth

Man muss bei der Affäre mittlerweile oft an ein Spinnennetz denken. An den fatalen Reflex, wenn ein darin gefangenes Tier sich umso mehr verfängt, je verzweifelter es um seine Befreiung strampelt. Ähnlich ausweglos erscheint die Lage von Alberto Salazar, jenes einstigen Wundertrainers der Leichtathletik, der längst tief in Ungnade geschlittert ist. Je heftiger er die wachsende Liste an Vorwürfen abstreitet, desto tiefer scheint er sich darin zu verheddern.

Salazar ist seit vergangenem Herbst für vier Jahre aus dem Sport verbannt. Ein Schiedsgericht hielt es für erwiesen, dass er mit der im Sport verbotenen Substanz Testosteron handelte, eine Infusion fälschlich anwendete und versuchte, sein Fehlverhalten vor Ermittlern der US-Anti-Doping-Agentur (Usada) zu verschleiern. Der 61-Jährige hat jegliches Fehlverhalten immer feurig bestritten; gegen seine Sperre geht er vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) vor. Aber auch das wirkt wie ein Lotteriespiel, in dem Salazar wenig gewinnen und sehr viel verlieren kann. Der Cas könnte die Sanktion nicht nur tilgen, er könnte sie auch verschärfen, sollten neue belastende Indizien auftauchen. Und die Usada lässt immer wieder durchblicken, dass sie genau darauf zielt: Sie will Salazar lebenslang aus dem Sport verbannen. Das sei nur angemessen, hat deren Chef Travis Tygart jetzt erst wieder bekräftigt, wenn man bedenkt, welch toxische Kultur der Guru über Jahre versprüht habe.

Der Fall steht auch für ein größeres Problem im Sport

Die jüngsten Vorwürfe in einer neuen BBC-Dokumentation schärfen die Konturen dieser Kultur: Erfolg um jeden Preis. Immer mehr Athleten schildern, wie Salazar sie dazu gedrängt haben soll, Medikamente zu nehmen, von denen sie schwere Folgen davontragen konnten - worüber sie aber erst spät aufgeklärt wurden, wenn überhaupt. Immer deutlicher wird auch, wie Athleten im NOP "emotional und physisch" missbraucht worden sein sollen, wie Salazars einstige Athletin Mary Cain unlängst in schockierenden Farben ausmalte. Schwer zu sagen, was da erschreckender ist: die kühle Skrupellosigkeit, mit der Salazar offenbar herrschte, oder das Schweigen der Mitwisser wie Pete Julian, Salazars langjähriger Assistent, der den "emotionalen Missbrauch" (Mary Cain) geschehen ließ. Später vertraute ihm Salazar eine eigene Gruppe an, die er bis heute betreut. Darunter die Deutsche Konstanze Klosterhalfen.

Salazars Affäre, hat Travis Tygart jetzt bekräftigt, sei auch deshalb so besorgniserregend, weil sie für eine neue Form der "Medikamentisierung" in der Hochleistungsbranche stehe. Für Schmerzmittel, die Sportler flächendeckend und präventiv schlucken, um Schmerzen zu betäuben; für Schilddrüsenmedikamente, Mineralien, Ketonpräparate und Infusionen, die nicht auf der Verbotsliste stehen, aber laut Experten dort hingehören, weil sie nur zum Leistungstuning verabreicht werden. Für Erfolg um jeden Preis.

Der Fall Salazar ist also auch deshalb so alarmierend, weil er weit über den Fall Salazar hinausreicht. Und offenbar noch lange nicht zu Ende ist.

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: