Kommentar:Runter vom Baukran

Uhr im Volksparkstadion

Verblasster Mythos: Die Uhr im Volksparkstadion, die die Jahre des Hamburger SV in der Bundesliga gezählt hat, ist nur noch eine langsam schwindende Erinnerung.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Die berühmt-berüchtigte Stadion-Uhr des Hamburger SV überstand zunächst den Abstieg in die zweite Liga. Zuletzt zeigte sie die Zeitspanne seit Klubgründung im Jahr 1887 an. Doch jetzt soll sie noch in diesem Sommer abmontiert werden.

Von Carsten Scheele

Dass beim Hamburger hoch oben im Oberrang eine Digitaluhr tickt, hat schon seit Monaten keinen Sinn mehr ergeben. "Bundesliga-Uhr" wird dieses Monstrum genannt, weil es die Jahre, Tage, Stunden und Sekunden zählte, die der HSV seit 1963 in der Bundesliga verbracht hatte. Damit war Schluss im Sommer 2018, als die Mannschaft nach 54 Jahren, 261 Tagen, 00 Stunden, 36 Minuten und zwei Sekunden erstmals abstieg. Das Ende auch für die Uhr? Nein, die durfte trotzig weiter ticken, sie zeigte zuletzt die Zeitspanne seit Klubgründung im Jahr 1887 an.

Dass die Uhr nun - nach zwei Popkonzerten im Sommer - aus der Stadionfassade montiert wird, mutet konsequent an, einerseits. Der HSV ist Zweitligist, wozu also eine "Bundesliga-Uhr"? Dass am gleichen Tag, an dem HSV-Boss Bernd Hoffmann diese Veränderung kundtut, der Chef der einflussreichen Fanvereinigung "Supporters-Club", Tim-Oliver Horn, auch die Trennung von der offiziellen Stadionhymne fordert, wirkt allerdings doch, als wolle der Klub mit aller Macht seiner Vergangenheit entkommen.

Horn, der rund 88 000 HSV-Fans vorsteht, vertritt nachvollziehbare Argumente. Es ist der Text, den viele Anhänger als peinlich empfinden. In "Hamburg, meine Perle" wird der Nordrivale SV Werder provoziert ("Wenn du aus Bremen kommst, gibt's für dich hier nichts zu holen...") oder der FC Bayern ("Ziehen wir dir die Lederhosen aus..."). Weit zurückliegender Tourneen im Europapokal wird zudem gedacht. "Wollen wir mal ehrlich sein?", fragt Horn deshalb. Bremen habe den HSV "am Ende immer geschlagen, wenn es darauf ankommt". Horn rät seinem Klub zu mehr "hanseatischem Understatement". Er will sich verabschieden von einer Hymne, "in der es in keiner Textstelle um den HSV geht, in der wir immer noch von Juve oder Rom träumen", obwohl der Klub seit der Spielzeit 2009/2010 nicht mehr international unterwegs war. So viel Selbstironie kann kein Team schultern, das auf Identitätssuche in der zweiten Liga kickt.

Trotzdem ist es mutig, sich so rasant mit der eigenen Geschichte anzulegen. Wie sich Lotto King Karl Heimspiel für Heimspiel von einem Baukran vor der Nordkurve hoch heben ließ und puristisch zu Gitarre und Tambourin sang, das hatte Flair (mit der Digitaluhr im Hintergrund), es war ein Alleinstellungsmerkmal. Dass Hymnen immer gefährliches Terrain sind, bekam jüngst Hertha BSC Berlin zu spüren. Als der Klub per Staatsstreich "Nur nach Hause" von Frank Zander als Einlaufmusik absetzte, waren die Fanproteste so gewaltig, dass der Nachfolger "Dickes B" von Seeed schnell wieder in der Playlist weit nach hinten rückte.

Ein Vorschlag zur Hamburger Güte: Vielleicht könnte Lotto auf dem Baukran ja ein anderes Lied singen. Und steigt der HSV auf, irgendwann, könnte auch die Uhr wieder angeschraubt werden. Ob sie dann bei null startet oder im Jahr 54 weiter tickt? Müsste diskutiert werden.

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