Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Rückschlag für die Putzerfische

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Die Fifa hat ein drohendes Wechselchaos unterbunden. Die Reaktion der Beraterzunft ist entlarvend.

Von Klaus Hoeltzenbein

Bundesliga im August, der 34. und letzte Spieltag. Der FC Bayern tritt in Wolfsburg an, im Tor steht Alexander Nübel. Früher als von ihm selbst erhofft, hat er Manuel Neuer abgelöst, da dieser sich - es handelt sich hier um ein fiktives Szenario - das Schienbeinköpfchen prellte. In einer Serie von Geisterspiel-Siegen hat sich Borussia Dortmund nach einer dreimonatigen Corona-Pause bis auf einen Punkt an die Münchner rangekämpft. 90. Minute, der Abpfiff naht. Dortmund führt 2:0 gegen Hoffenheim, die Bayern liegen 1:0 vorne, in den angeschlossenen Wohnzimmern feiern sie schon den achten Münchner Titel in Serie, doch dann: Elfmeter für Wolfsburg!

Coutinho legt sich den Ball zurecht. Jener Coutinho, der bis vor wenigen Wochen dem FC Bayern diente, ehe er auf Anweisung von VW do Brasil in die Zentrale nach Wolfsburg weiterzog. Bis zum 30. Juni war Coutinho ein Münchner, Nübel bis 30. Juni ein Schalker. Dann der Wechsel, jetzt schon das Duell. Die Spannung auf den leeren Betontribünen ist kaum zu fassen. Coutinho läuft an, täuscht, schießt, Nübel ahnt die Ecke, fliegt, hat die Fingerkuppen dran ... - 1:1! Das Spiel ist aus!!! Im fernen Dortmund liegen sich Wildfremde in den Armen, alle Abstandsregeln sind endgültig außer Kraft gesetzt.

So könnte es kommen. So wird es aber nicht kommen, und dies nicht nur, weil Coutinho eher bei Chelsea als in Wolfsburg landet. Der Brasilianer zählt zu jenen circa 40 Bundesliga-Spielern, bei denen am 30. Juni der Leihvertrag endet. Bei mehr als 70 Spielern läuft zum selben Datum der Profivertrag aus. Einer ist der Kontrakt von Torwart Nübel, dessen Beispiel gerade das anschaulichste ist, um eines der gravierendsten Probleme des Weltfußballs zu skizzieren. Denn Nübels Transfer von Schalke nach München ist fest für Ende Juni verabredet, ein neuer Vertrag bis 2025 fixiert. Würden sich jetzt alle, denen es ähnlich geht, vertragstreu verhalten und pünktlich den Arbeitgeber wechseln, könnten Dramaturgien wie obige Fiktion aus Wolfsburg (wo in der Tat das letzte Saisonspiel des FC Bayern angesetzt ist) skurrile Wirklichkeit werden: dass dann ein Profi auf jene Bude ballert, die kurz zuvor noch die eigene war.

Um solche Szenen zu verhindern, hat der Fußball-Weltverband Fifa jetzt das Passende verfügt. Es kann keine zwei Meinungen dazu geben, dass es richtig ist, alle am 30. Juni auslaufenden Verträge an den Spielplan anzupassen, sie somit bis zum "effektiven Ende der Saison" zu verlängern. Anschließend erst öffnet das Transferfenster. Andernfalls droht Chaos in allen Wettbewerben, in allen Klassen, würde im Sommer mitten im laufenden Betrieb wild von Schalke nach München, von Düsseldorf nach Köln und aus Dortmund nach England umgezogen. Allerdings lauern juristische Fallen, die ab sofort die Kanzleien auslasten werden. Beispielsweise mit der arbeitsrechtlichen Prüfung des Mustervertrages des Deutschen Fußball-Bundes. In dem steht: Gültig bis 30. Juni, dahinter folgt in Klammern der Zusatz "Ende des Spieljahres". Impliziert dies bereits die Verlängerung?

Auf die neue Situation dürften die Spielerberater nicht allzu fröhlich reagieren. Die Deutsche Fußballspieler-Vermittler Vereinigung (DFVV) hat zur Lage sogleich mal eine Fachfrage am Beispiel Nübel formuliert: Wer, bitteschön, zahle denn dann dessen Gehaltsdifferenz, sollte der Torwart erst Monate später aus Schalke ins solvente München wechseln können?

Wo in dieser Frage derzeit die Gefahr fürs Image liegt, hat Nübels Berater jedoch schnell erkannt. Postwendend erklärte er, sein Klient wolle in jedem Fall auf Schalke bleiben, bis zum effektiven Saisonschluss. Entlarvend aber war der erste DFVV-Reflex allemal. Zeigt er doch, worum es der wie Putzerfische am Fußball klebenden Beraterzunft zuvorderst geht: ums Geld, ums eigene. Nur: Wird nicht gespielt, ist wenig zu saugen.

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Quelle:
SZ vom 12.04.2020
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