Kommentar:Präzedenzfall und Pulverfass

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Es ist dem DFB zu verdanken, dass er überhaupt eine Lösung für Türkgücü, den Münchner Migrantenklub ohne Heimat, durchgehen ließ. Doch das Problem ist bloß aufgeschoben.

Von Christoph Leischwitz

Die Nachricht übertönt erst einmal alles: Türkgücü München hat es geschafft! Vier Münchner Mannschaften und Unterhaching im Profifußball! Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich bei der Stadionsuche für den Drittliga-Aufsteiger sämtliche Beteiligten aufgeführt haben wie Cowboys mit dem Motto: Die Stadt ist nicht groß genug für uns alle.

Die Stadt als Vermieter des Grünwalder Stadions fühlt sich in der Pflicht, jedem Münchner Klub Platz zu bieten. Nur: Niemand bewegte sich, und einen Plan B gab es nie. Die Sechziger wollten und konnten das Grünwalder nicht verlassen, um Platz für Türkgücü zu machen. Die Bayern mit ihrer U23 wollten nicht. Kein anderes Stadion rund um München konnte oder wollte den Aufsteiger aufnehmen. Türkgücü reagierte äußerst gereizt, die Vereinsführung setzte auf eine bizarre Mischung aus Verwirr- und Tränendrüsentaktik. Dann wurde von der Stadt das Olympiastadion angeboten, doch Türkgücü sah sich plötzlich außerhalb Münchens um. Dann hieß es: Vielleicht wollen wir gar nicht aufsteigen. Vielleicht doch. Türkgücü stieß in dieser Phase viele Beteiligte vor den Kopf.

Es ist dem DFB zu verdanken, dass jetzt überhaupt eine Lösung gefunden wurde. Dort sieht man Türkgücü als einen Präzedenzfall, weshalb nicht die üblichen Zulassungs-Gepflogenheiten herangezogen werden. Doch das Problem ist nicht wirklich gelöst, es ist nur zum x-ten Male aufgeschoben. Jetzt ist sogar eingetreten, was eigentlich alle verhindern wollten: Der Migrantenklub hat keine feste Heimat und dürfte in dieser Fleckerlteppich-Lösung wenig Möglichkeiten haben, Identität zu entwickeln oder zu stiften. Das Problem ist zudem jetzt auch exportiert. In Würzburg beschweren sich schon erste Anwohner über den unangekündigten Gast. In Burghausen hängen Wacker-Fans Anti-Türkgücü-Plakate auf. Ob das Olympiastadion irgendwann einmal uneingeschränkt zur Verfügung steht, ist ebenfalls fraglich, die großen Rockkonzerte dürften immer Vorrang haben.

Türkgücü wird weiter Politikum und potenzielles Pulverfass bleiben, solange die Frage der sportlichen Heimat nicht endgültig geklärt ist. Aktuell hat Präsident Hasan Kivran seinen Willen bekommen und kann die Entscheider trotzdem kritisieren: Dass sein Verein nicht gewollt sei, kann er weiter als Druckmittel verwenden. Und davor hat er noch nie zurückgescheut.

Wie wenig eine nachhaltige Lösung interessierte, zeigt schon allein Tatsache, die im ganzen Stadionzirkus lange untergegangen ist: Türkgücü ist nicht nur der erste von Ausländern gegründete Profiverein in Deutschland - er dürfte auch so ziemlich der erste Profiklub sein, der sich für das Training eine Bezirkssportanlage mit einem A-Klassisten teilt. Es wäre Zeit, antizyklisch zu denken, sich genau jetzt zusammenzusetzen und Perspektiven zu suchen. Bevor der Stadt und den Vereinen das Problem in einem Jahr wieder auf die Füße fällt.

© SZ vom 30.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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