Kommentar:Macht nichts

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Die Reise ist zu Ende: Atalanta-Trainer Gian Piero Gasperini (li.) nach der Niederlage gegen PSG. (Foto: Rafael Marchante/AP)

Nur drei Minuten fehlten dem Klub aus der coronageplagten Stadt Bergamo zum Halbfinale. Doch die Niederlage ist nicht nur ein Streich des Schicksals, sie hat auch mit Verdiensten von Gegner Paris Saint-German zu tun.

Von Oliver Meiler

Es war alles drin in diesem Spiel, David gegen Goliath, die kleine Geschichte um den Fußball, die große Geschichte um das Leben. Und dann das Drama zum Schluss. "Così nooo!", titelt die Gazzetta dello Sport, mit drei O's, ungefähr so, wie es auch Millionen von Italienern daheim vor dem Fernseher entfahren sein muss. So nicht. Doch nicht so. Gegangen wäre auch: Ach!

Atalanta Bergamo hatte Italien mit sich nach Lissabon getragen. "Es fühlte sich so an, als wären wir die italienische Nationalmannschaft", sagte Trainer Gian Piero Gasperini vor dem Spiel gegen PSG, so herzerwärmend kollektiv war die Euphorie für die "Dea", die Göttin Atalanta. Es wurde so viel mehr gespielt als ein Viertelfinale der Champions League, das an sich schon alles überstrahlte, was dieser Provinzverein jemals erlebt hatte. Da war auch die Geschichte in der Geschichte, die Geschichte von Bergamo und Corona.

Nicht dass jemand gedacht hätte, ein Sieg gegen Paris würde die Bilder und die Trauer wegwischen. Aber eine kleine Freude nach all dem Leid?

In den letzten zwanzig Minuten des Spiels, als Atalanta zusehends in sich zusammenfiel, übermannt von Müdigkeit und Abnützung, schob Fabio Caressa, der Star-Reporter von Sky Italia, jeder gelungenen Grätsche gegen Neymar und Mbappé einen lauten Jubelruf nach: "De Roooooon!" - "Freulerrrr!" Einmal rief er ihnen zu: "Widerstand! Leiden!" Und wer weiß, vielleicht hörten sie ihn sogar, man hört ja alles in diesen leeren Geisterstadien, sie sind wie Echobüchsen.

Es fehlten drei Minuten, nur drei Minuten. Und Caressa schloss mit den Worten: "Non importa, non importa." Macht nichts, macht nichts. Eine Trostnote.

Womöglich war Atalanta doch ein bisschen benachteiligt: In der italienischen Serie A wurde die Saison trotz Corona fertig gespielt, bis in den August hinein, während die französische Ligue 1 vor fünf Monaten ihre Tore schon geschlossen hatte. Josip Ilicic, der slowenische Torjäger des Klubs, einer seiner besten Männer, hat so sehr am Trauma Bergamos gelitten, dass er nach dem Lockdown nicht mehr Fußball spielen mochte. Er fehlte sehr, auf diesem Niveau sowieso. Ab Mitte der zweiten Halbzeit war keine Energie mehr drin in den Bergamasken, nur noch staunenswerter, aber auch verzweifelter Kampfeswillen, samt Grätschen.

Duván Zapata, der Stürmer aus Kolumbien, sonst eine Naturgewalt, war stehend K.o.: Er hatte davor so vielen Bällen nachgehetzt, meistens nutzlos. Alejandro "Papu" Gomez, der Regisseur aus Argentinien und Kapitän der Bergamasken, verletzte sich in der entscheidenden Phase, und so fehlte der einzige Mann, der technisch gut genug ist, fürs kollektive Luftholen den Ball auch mal zehn, zwanzig Sekunden lang zu halten. Am Ende verletzte sich auch noch der Schweizer Mittelfeldspieler Remo Freuler, einer dieser einst Namenlosen, die den Verein in dieser Saison zu einer Adresse gemacht haben. Da war das Kontingent der Auswechslungen aber schon ausgeschöpft, Atalanta war nur noch zu zehnt.

Drei Minuten fehlten. In Italien heißt es jetzt natürlich, Atalanta sei Opfer einer finalen "beffa" geworden, eines bösen Streichs des Schicksals. Aber wahrscheinlich wäre es fairer, wenn PSG jetzt auch gewisse eigene Verdienste um diesen Sieg zugesprochen würden.

Atalanta hat der Welt gezeigt, dass viel möglich ist mit wenig Geld, wenn man nur ein Projekt mit Geduld vorantreibt. Drei Trainer in zehn Jahren, wo gibt es das schon noch? Mit Ideen, mit festen Werten, mit einem ständigen Draht zum Volk, wenn man ihm gleicht. 90 Minuten lang war nicht klar, wer hier der Zwerg ist. Es fehlten drei Minuten.

© SZ vom 14.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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