Reifen in der Formel 1:Gefährliche Gier nach mehr Spannung

F1 Grand Prix of Belgium - Qualifying

Sebastian Vettel: Wütend auf Pirelli

(Foto: Charles Coates/Getty Images)

Sebastian Vettels Wut nach seinem Reifenschaden ist verständlich. Aber ist sie auch begründet? Der Fall zeigt, wie gefährlich es ist, immer mehr Risiko im Sport einzugehen.

Kommentar von René Hofmann

Sebastian Vettel hatte gerade den dritten Platz verpasst, mit dem er im Titelrennen geblieben wäre. Er hatte sich gerade aus seinem Ferrari geschält, an dem wenige Meter vor dem Ziel ohne Vorankündigung und ohne ersichtlichen Grund bei hohem Tempo ein Reifen geplatzt war. Vettel war frustriert und geschockt. Er wähnte sich sogar in Lebensgefahr. Seine Wutrede auf Reifenlieferant Pirelli - sie war verständlich. Aber war sie auch begründet?

Das ist die Schlüsselfrage, die der Große Preis von Belgien, das elfte von 19 Saisonrennen, aufgeworfen hat. Sollte Vettel Recht haben, sollten die Reifen wirklich ein Sicherheitsrisiko darstellen, wäre es fahrlässig, alle einfach weiterrasen zu lassen wie bisher. Für ein seriöses Urteil aber ist es noch zu früh. Noch gibt es nur Indizien. Und die sind alles andere als eindeutig. Bereits im Training hatte es einen ähnlichen Reifenschaden bei Hochgeschwindigkeit gegeben, dessen Grund Pirelli bis zum Start nicht zweifelsfrei herausfinden konnte. Trotz der Ungewissheit schickte Ferrari Vettel mit einer Reifen-strapazierenden und deshalb gewagten Einstopp-Strategie los. Es sieht so aus, als gebe es bei dem Konflikt keinen, dem nichts vorzuwerfen wäre.

Eines zeigt die Aufregung in jedem Fall jetzt schon: wie kniffelig es ist, für die Formel 1 Reifen herzustellen. Weil die Pneus die einzigen Teile sind, die eine Verbindung zwischen dem Auto und der Straße herstellen, ist ihr Einfluss enorm. Sind sie zu hart, schimpfen die Fahrer: Dann können sie nicht schnell um die Ecken pfeifen und verlieren die Freude am Fahren. Aber wehe, die Pneus sind nur ein bisschen zu fragil und drohen zu platzen. Dann befinden sich nicht nur die Protagonisten in Lebensgefahr, sondern auch für die Zuschauer entlang der Strecke wird es gefährlich.

Wagnis ohne Wettbewerbsdruck

Pirelli ist nicht der erste Hersteller, der sich einer Sicherheitsdebatte stellen muss: Michelin ging es vor zehn Jahren genauso, als seine Produkte den Kräften nicht standhielten, die in Indianapolis in einer Steilkurve auf sie wirkten. Der entscheidende Unterschied dabei aber ist: Der französische Konzern hatte damals im Wettstreit mit seinem japanischen Konkurrenten Bridgestone zu viel riskiert, Pirelli ist seit vier Jahren als Allein-Ausrüster am Start. Sollte sich die Firma tatsächlich in einen roten Bereich hineingewagt haben, geschah das ohne Wettbewerbsdruck, allein im Streben, ihren Teil beizutragen zu möglichst abwechslungsreichen und spannenden Rennen - wie sie Fahrer, Teams, Veranstalter, Fans und Medien immer wieder fordern.

Egal, was die Analysen der Unfälle am Ende ergeben und welche Konsequenzen daraus gezogen werden, eines lehrt die Debatte damit schon jetzt: wie gefährlich und fragwürdig es in dem Sport ist, stets bis an die letzte Rille gehen zu wollen.

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