Kommentar:Lackmus-Test  für Bach

Diesen Freitag übergibt der kanadische Anwalt Richard McLaren seinen Bericht zum russischen Doping - es geht ans Eingemachte: um die Integrität des Sports.

Von Thomas Kistner

Vier Wochen noch bis zur Eröffnung der Sommerspiele in Rio, wo die Sportwelt ein veritables Chaos erwarten dürfte. Potemkinsche Dörfer wären jetzt hilfreich. Aber leider bilden die Sportfreunde aus Russland, die ja Erfahrung hätten mit derlei Blendwerken, gerade selbst eine noch größere olympische Baustelle. Das Leichtathletik-Team ist kollektiv gesperrt für Rio; und das dürfte nur ein Teil der erforderlichen Sanktionen sein. Denn allein schon auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse ließe sich ableiten, dass der großflächig organisierte Pharmabetrug in Russland weit über diese Sparte hinausgeht. Und vor allem: Weit über den Sport hinaus.

Das ist die Gemengelage, in der das Internationale Olympische Komitee bange diesem Freitag entgegenblickt. Dann übergibt der kanadische Anwalt Richard McLaren seinen Bericht zum russischen Doping, insbesondere zu schwerstwiegenden Vorwürfen bezüglich der Winterspiele 2014 in Sotschi. Montag wird der Skandalreport dann veröffentlicht.

Das IOC unter dem treuen Putin-Freund Thomas Bach hat sich sicherlich akribisch auf die Katastrophenlage vorbereitet, die entsteht, wenn der Report staatliche Dopingvertuschungen in Sotschi und anderswo nachzeichnet. Gregori Rodtschenkow, lange Jahre Chef des Moskauer Dopinglabors und auch jener Sotschi-Außenstelle, hat detailliert ein staatliches Szenario geschildert, das vom Geheimdienst begleitet worden sei. Positivproben seien im Olympia-Labor durch ein Wandloch ins Hinterzimmer zur Bereinigung durchgereicht worden. Dutzende Athleten, darunter 15 Medaillensieger, sollen gedopt gewesen sein.

So eine staatlich gelenkte Betrugssystematik wäre ein Generalangriff auf den olympischen Sport - jede andere Bewertung ist absurd. Nahe Beobachter vom deutschen Sportminister Thomas de Maizière bis zum US-Doping-Cheffahnder Travis Tygart, der einst Lance Armstrong zur Strecke brachte, beziehen schon Stellung. Tendenz: Gab es in Sotschi 2014 staatlich gelenktes Doping, stünde nur ein Komplett-Ausschluss der Russen zur Debatte.

Man darf solche vorauseilenden Positionierungen als Misstrauensvotum gegenüber dem IOC begreifen. Hinterzimmer-Experte Bach tut bisher alles, um die Situation der Russen abzumildern. Er spricht von Individualschuld, wo Systematik klar erkennbar ist, und die Lösung der heiklen Frage schiebt er an die Fachverbände ab. Durchschaubare Manöver, die er in Bezug auf die Sotschi-Frage selbst entlarvt: Träfen diese Vorwürfe zu, avisierte er Schritte, die "in Kooperation mit den Wintersportverbänden" zu treffen wären. Absurd: Was hätten Rodel- und Curling-Funktionäre noch zu bereden, wenn der russische Geheimdienst positive in negative Proben verwandelte? Vielleicht sollten dann mal die Bobfahrer im Reglement nachschlagen unter Punkt G: G wie Geheimagent.

Bachs Wendungen illustrieren, dass er in die größte Krise seiner Amtszeit trudelt. Der Leichtathletik-Weltverband geht auf Distanz; die Welt-Anti-Doping-Agentur wird mutig, sie sperrt ein Labor nach dem anderen. An die Wada ergeht auch der McLaren-Bericht, nicht an das IOC. So wird die Russland-Frage zum Lackmus-Test für Bach. Hier geht es nicht mehr um Korruption, die neben der Fifa auch das IOC betrifft, wie im Fall des künftigen Sommerspieleveranstalters Tokio. In Russland geht es ans Eingemachte: um die Integrität des Sports.

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