Kommentar:Kopflos durch den Sommer

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Ferrari braucht nach der Trennung von Technik-Direktor James Allison dringend einen Nachfolger. Die eigentlichen Stars sind nicht mehr die Piloten, sondern die Top-Techniker im Hintergrund.

Von René Hofmann

Die Formel 1 - das ist nicht nur eine Weltmeisterschaft. Genau betrachtet werden jedes Jahr zwei Wertungen ausgefahren. Seit 1950 wird der beste Fahrer ermittelt. Acht Jahre später wurde erstmals auch der beste Rennstall gekürt. Die Konstrukteurs-WM findet nicht ganz so viel Aufmerksamkeit wie der Fahrertitel, dabei ist sie fast noch bedeutsamer: Nach ihr richtet sich, wie viel jedes Team von den Einnahmen erhält, die Vermarkter Bernie Ecclestone erzielt.

Wer baut das beste Auto? Die Frage ist inzwischen fast noch spannender als die Frage, wer am schnellsten fährt. Früher waren die Formel-1-Autos kraftstrotzende, lärmende, schwer zu zähmende Ungeheuer. Inzwischen sind sie zeitweise flüsternde, teilweise elektrisch angetriebene Hightech-Mobile. Kommod zu fahren, aber unglaublich kompliziert zu konstruieren. Talentierte Nachwuchs-Piloten gibt es viele. Überragende Konstrukteure aber sind vergleichsweise rar.

Die verschiedenen Technikbereiche zu durchdringen, die richtigen Schwerpunkte zu setzen, einen Stab von mehreren hundert Ingenieuren zu dirigieren und dabei auch noch ein Budget im Auge zu behalten - das können offenbar nicht viele. Und das hat dazu geführt, dass die unbekannten Tüftler inzwischen zu den heimlichen Stars der Szene aufgestiegen sind, denen oft nicht nur ein fürstliches Gehalt zugestanden wird; zudem dürfen sie sich auch so manche Eigenheit leisten. Als es Adrian Newey von McLaren zu Red Bull zog, löste sein neuer Arbeitgeber bei seinem alten das in die Jahre gekommene Zeichenbrett des Technik-Maestros ab. Um ihn bei Laune zu halten, darf der 57-Jährige neben Formel-1-Autos inzwischen auch noch America's-Cup-Yachten und teure Sportwagen zeichnen.

Das Beispiel Newey zeigt, wie viel den Top-Teams an Top-Technikern gelegen ist. Und es zeigt, wie groß die Misere bei Ferrari aktuell ist. Das italienische Traditionsteam trennte sich an diesem Mittwoch von James Allison. Der Schritt kommt mitten in der Saison. Und er kam unmittelbar nach einem Rennen, bei dem alle Trennungsgerüchte noch dementiert worden waren. Zudem wird das Aus kurz vor dem Heimrennen des Nummer-1-Fahrers bekannt, dem Deutschland-Grand-Prix, der am Sonntag in Hockenheim ausgetragen wird - ein paar Kilometer vom Ort entfernt, an dem Sebastian Vettel aufgewachsen ist. Für die Szene ist es ein Paukenschlag, der ungewöhnlich gesetzt wird: unmittelbar vor der Sommerpause. Die Trennung wirkt panisch. Die Scuderia, der in diesem Jahr noch kein Sieg glückte, trudelt nun kopflos durch den Sommer. Für Vettels Vorhaben, bis Ende 2017 mit den Roten den Fahrertitel zu erobern, bedeutet das erst einmal nichts Gutes.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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