Kommentar:Kleiner als nötig

Schalke 04 reiht eine peinliche Niederlage an die andere. Trainer David Wagner, dessen Aufstellungen, Anweisungen und Analysen immer seltsamer werden, hat das Kunststück fertiggebracht, hohe Höhen und tiefste Tiefen in einer einzigen Spielzeit zu erleben.

Von Milan Pavlovic

Gut für Schalke 04, dass die schon 36 Punkte haben", entfuhr es einem Beobachter nach Spieltag 23. Die Westfalen belegten damals in der Tabelle noch den sechsten Platz, aber nach dem 0:5 gegen Leipzig zeigten wegen einer Verletzungslawine, Formschwächen und Torwart-Kapriolen alle Richtungspfeile nach unten. Es war Mitte Februar, die Pandemie war scheinbar fern, als Schalke 04 sich noch nah am internationalen Geschäft wähnte. Inzwischen geht der Blick steil nach unten, und um die Verfassung der Mannschaft zu treffen, muss man nach passenden Worten suchen. Anämisch, paralysiert, katatonisch. Wer gedacht hatte, dass es nach den Leistungen in Dortmund (0:4) und gegen Augsburg (0:3) nicht weiter abwärtsgehen könnte, der musste erst mit der ersten Halbzeit gegen Bremen konfrontiert werden.

Es kommt vor, dass ein Team verunsichert auftritt, erst recht nach zehn Spielen ohne Sieg. Wenn Profis der Situation nervlich nicht gewachsen sind, wird gerne der ganze Katalog der Unzulänglichkeiten vorgeführt. Was nachdenklich stimmt, ist, wenn eine Mannschaft nicht mehr bloß mutlos agiert, sondern die Mutlosigkeit mehr oder weniger vorgegeben wird.

Und das muss man Schalkes Trainer David Wagner vorwerfen. Er hat den Verein in den vergangenen Partien kleiner gemacht hat, als es nötig war. Es ging ja nicht gegen Liverpool oder Manchester City, sondern gegen die Kellerkinder Augsburg, Düsseldorf und Bremen. In den ersten 20 Minuten gegen den Vorletzten Werder hatte Schalke 18 Prozent Ballbesitz. Wagners Aufstellungen, Anweisungen und Analysen werden immer rätselhafter, manchmal fühlt man sich an seinen Vorgänger Domenico Tedesco erinnert, der nach einer nicht für möglich gehaltenen ersten Saison (die auf Platz zwei endete) eine zunehmend schauderhafte zweite Spielzeit verantwortete, die ihn sprachlos werden ließ und (nach einem 0:7 gegen Manchester City) dazu führte, dass Huub Stevens aus der Rente zurückgeholt werden musste, um das Abstiegsgespenst zu vertreiben.

Wagner hat nun das Kunststück fertiggebracht, hohe Höhen und tiefste Tiefen in einer einzigen Spielzeit zu erleben. Auch wenn es vernünftig wirkt, dass er nicht übertourt, würde man sich von ihm schon etwas mehr Feuer wünschen. Um zu ermessen, wie wichtig es ist, als Trainer mit Verve und Überzeugung voranzugehen, muss man derzeit nur Bruno Labbadia in Berlin zusehen - die Hertha war nach dem 23. Spieltag (an dem sie ihrerseits 0:5 gegen Köln verlor) Vierzehnter, zehn Punkte hinter Schalke. Am Samstag hat sie die Westfalen hinter sich gelassen.

Schalke ist ein Klub mit hohem Pathos-Faktor und der ins Theatralische lappenden Überzeugung, der Verein sei größer als das Leben. Das provoziert bei neutralen Zuschauern Kopfschütteln, wenn der Klub so gut drauf ist, dass die Fans ausgelassen von Europa träumen; und Häme, sobald es schlecht läuft wie in den beiden vergangenen Rückrunden. Denn es läuft dann nicht einfach nur schlecht; es läuft dann schlecht wie in der Bibel oder, um mal auf den Teppich zurückzukommen, so grotesk aus dem Ruder wie bei den beiden trotteligen Räubern aus "Kevin - Allein zu Haus", die nur deshalb auf den Beinen bleiben, damit sie weiter slapstickartig gequält werden können.

Das einzig Positive für Schalke 04 ist deshalb derzeit: Gut, dass der Klub schon 37 Zähler gesammelt hat. Es hat freilich schon einen Bundesligisten gegeben, der mit 38 Punkten abgestiegen ist.

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