Kommentar:Klarer Schlag - Verfahren eingestellt

SV Darmstadt 98 v 1. FC Koeln - Bundesliga

Wird nicht gesperrt: Kölns Anthony Modeste.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der Kölner Modeste haut seinen Gegenspieler um. Der Schiedsrichter sieht die Tätlichkeit nicht, das Sportgericht kann wegen "Tatsachenentscheidung" trotzdem nichts tun. Diese Regel muss geändert werden.

Kommentar von Claudio Catuogno

Doch, doch, die Entscheidungen von DFB-Kontrollausschuss und DFB-Sportgericht sind manchmal schon auch ohne juristisches Staatsexamen zu verstehen. Da war zum Beispiel in dieser Woche der Fall Sandro Wagner. Das ist jener Stürmer der TSG Hoffenheim, der sich am Samstag eines groben Fouls an seinem Leipziger Gegenspieler Stefan Ilsanker schuldig gemacht hatte. Im Namen des Fußballvolkes erging bereits zwei Tage später folgendes Urteil: zwei Spiele Sperre sowie 10 000 Euro Geldstrafe. "Strafmildernd" sei berücksichtigt worden, erläuterte der Sportgerichts-Vorsitzende Hans E. Lorenz, "dass Sandro Wagner sein Fehlverhalten umgehend eingeräumt und sich sowohl bei seinem Gegenspieler als auch beim Schiedsrichter noch auf dem Platz und nach dem Spiel entschuldigt" habe.

Geständnis, tätige Reue sowie günstige Sozialprognose können sich strafmildernd auswirken - diese Rechtsprinzipien kennt der Fußballfan auch aus dem richtigen Leben. (Bloß die Frage, um wie viele Tagessätze es sich eigentlich bei der Geldstrafe handelt, sollte man sich besser nicht stellen.)

Tatsachenentscheidungen sind dem Fußball heilig, auch falsche

Schwerer nachzuvollziehen ist eine andere Causa des vergangenen Spieltags: der Fall Anthony Modeste. Der Stürmer des 1. FC Köln hatte dem Darmstädter Aytac Sulu im Laufduell die Hand ins Gesicht geschlagen; im Grunde auch das eine klare Unsportlichkeit. Eine "offensichtlich sportwidrige Schlagbewegung" erkannte prompt Anton Nachreiner, in seiner Funktion als Kontrollausschuss-Vorsitzender eine Art Oberstaatsanwalt der Bundesliga. Trotz der klaren Faktenlage hat Nachreiner das Verfahren aber nicht vors Sportgericht gebracht - sondern eingestellt. Warum?

Das Nicht-Ahnden des Schlags sei nun mal eine "Tatsachenentscheidung" gewesen, also eines dieser im Fußball heiligen Schiedsrichter-Urteile, die im Nachhinein nicht revidiert werden können. Angeblich, um die Autorität der Unparteiischen zu schützen - wobei man sich schon fragen muss, ob man den Referees wirklich einen Gefallen tut, wenn man jede noch so offenkundig falsche Tatsachenentscheidung in den Rang der Unfehlbarkeit erhebt. Im konkreten Verfahren ging es jedenfalls weniger um Modeste als um den Schiedsrichter Robert Kampka. Der habe die Szene gesehen, aber nicht als Foul bewertet - also: Nichts mehr zu machen!

Wenn der Videoschiedsrichter kommt, braucht es neue Regeln

Tatsächlich stand Kampka direkt daneben und hatte beste Sicht auf den Zweikampf. Allerdings hatte Kampka selbst angegeben, die Szene eben nicht wahrgenommen zu haben - nur deshalb konnte das Ermittlungsverfahren überhaupt eröffnet werden, ehe es nun wieder eingestellt wurde. Es war eben so: Kampka hatte zwar an die richtige Stelle geguckt, dabei aber nix gesehen, deshalb weiterlaufen lassen - und damit (ohne es selbst zu ahnen) jene Tatsachenentscheidung getroffen, die jetzt nicht mehr geändert werden kann. Hätte Kampka verträumt zur Tribüne geguckt und deshalb nix gesehen, hätte er zwar seinen Job nicht besser gemacht, bloß das Ergebnis wäre besser gewesen: Modeste hätte nachträglich gesperrt werden können.

Man wüsste gerne, wie so eine Situation in Zukunft gelöst wird - wenn der Videoschiedsrichter in der Bundesliga nicht mehr nur im diskreten Probebetrieb mitarbeitet, sondern mitentscheiden darf. Man ahnt: Bloß einen weiteren Mann vor diverse Bildschirme zu setzen, wird nicht reichen. Man muss dann auch die Regeln so ausgestalten, dass sie der neuen Fußballwirklichkeit entsprechen.

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