Kommentar:Inszenierte Unabhängigkeit

Das Internationale Olympische Komitee will angeblich eine Anti-Doping-Agentur beauftragen, die autark operieren soll.

Von Thomas Kistner

Raue Zeiten im Weltsport, der Pharmagestank dringt durch alle Ritzen der globalen Mogelpackung. Das Internationale Olympische Komitee muss dringend etwas tun. Nicht gegen Doping, das ist ja der Brennstoff, der diese Milliardenindustrie antreibt. Aber gegen die Gefahr, dass beim Publikum das Misstrauen und alsbald der politische Druck so anwachsen könnte, dass dem Sport die Selbstkontrolle entrissen wird. Also besser, er greift zum alten Hausmittel: Wir machen unsere Dopingtests jetzt noch toller und viel, viel unabhängiger!

IOC-Chef Thomas Bach, Olympiavorstand seit mehr als 20 Jahren, verkündigte soeben zwei famose Vorhaben. Nach den Schmutz-Spielen von Sotschi sollen die Dopingtests der Winterspiele 2018 in Pyeongchang bei einer unabhängigen Agentur liegen. Diese Independent Testing Authority (ITA) solle autark von IOC, Sport und Politik operieren. Ganz klar.

Ihre Richter suchen sich die Sportfunktionäre selbst aus

Wie wenig autark das abläuft, zeigt schon, dass das IOC selbst für dieses unabhängige Gremium sorgt; das Motto: Die Richter über unsere Arbeit suchen wir aus! Auch darf gewettet werden, dass die neue ITA den vertrauten, in Fragen der Sportethik bewährten Personal-Mix aufweisen wird: einige namhafte Experten, sportfern und naiv genug, um den Besserungsschwüren der Funktionäre zu glauben (die dann im Hinterzimmer die Dinge politisch steuern). Das klassische Schlussbild solcher Unabhängigkeitsrituale - ehrenwerte Gutmenschen, die müde und entnervt hinwerfen - war zuletzt im Mai zu sehen, bei der Zerschlagung des Ethikkomitees der Fifa.

Und damit zu Bachs zweiter Frohbotschaft: Nachdem die Russen in Sotschi 2014 reihenweise Positivproben ihrer Olympiahelden in negative umgewandelt und dafür ein Verfahren entwickelt hatten, mit dem sich versiegelte Probenflaschen öffnen und schließen lassen, sei nun "eine Methode gefunden" worden, mit der die verräterischen Kratzer an den Behältern forensisch valide untersucht werden könnten. Das ist gut, aber nicht ganz neu. So einen Nachweis hat bereits Russland-Sonderermittler Richard McLaren geführt. Auffallend ist etwas ganz anderes: dass die vom IOC forcierte Arbeit unter Regie des Forensischen Instituts in Lausanne erfolgte.

Was Kratzer an Urinflaschen angeht, dürfte es in Lausanne keine größere Expertise geben als im Rest der Welt. Warum also Lausanne? Hier sitzen das IOC und viele Verbände, stolz nennt sich die Kommune Welthauptstadt des Sports. Hier kreuzen sich die Wege Tausender Leute, die im und vom Sport leben. Unabhängigkeit sucht man besser woanders.

Wie zum Beispiel gerade der italienische Geher Alex Schwazer. Er fand verstörende Argumente für seine Behauptung, dass man ihm 2016 eine positive Dopingprobe untergeschoben habe. Ein Gericht in Bozen hält sie für ausreichend und hat nun eine forensische Prüfung angeordnet; es will auch nach Kratzspuren fahnden lassen. Aber nicht in Lausanne, sondern von Polizeifahndern in Parma. Dass sich der Weltverband IAAF und sogar die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada heftig dagegen wehren, ist wohl eher kein Zufall. Unabhängigkeit ist ja nur gut, solange man sie unter Kontrolle hat.

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