Kommentar:Insel-Dominanz mit Zugereisten

Kommentar: Philipp Selldorf besitzt ausschließlich gutes Geld, kein böses. Illustration: Bernd Schifferdecker

Philipp Selldorf besitzt ausschließlich gutes Geld, kein böses. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Bundesliga muss erkennen, dass in England mit dem Wohlstand auch der Sachverstand gewachsen ist.

Von Philipp Selldorf

Ein Witz, der sich zur Zeit in weiten Teilen Englands großer Beliebtheit erfreut, entwickelt seine besondere Wirkung dadurch, dass er keinen konstruierten Scherz erzählt, sondern in kürzest möglicher Form nur die Wahrheit referiert. Nämlich folgendermaßen:

FC Liverpool und Tottenham Hotspur in Madrid.

FC Chelsea und FC Arsenal in Baku.

Manchester City und Manchester United in Manchester.

Manchester City und Manchester United sind jene zwei Klubs, die in der Premier League für ihren Erfolg das meiste Geld bewegen und sich dabei, jeder auf seine Art, besonders neureich benehmen. Dass die beiden nun zu Hause bleiben müssen, wenn demnächst vier englische Vereine zu den europäischen Finalspielen nach Spanien und Aserbaidschan aufbrechen werden, das ist auf der Insel ein guter Anlass zum Spott - auf dem Kontinent aber nicht mal ein schwacher Trost. Im gedemütigten Resteuropa ist man ausreichend damit beschäftigt, den Triumph des englischen Erzkapitalismus zu beklagen. Dass zumindest der Sieg des Manchester-Kapitalismus ausbleibt, interessiert da allenfalls am Rande.

Als vor ein paar Jahren die Fernseheinnahmen in England explodierten und die Vereine dort mit den Pfunden um sich warfen, hat mancher Experte in Deutschland noch geglaubt, dem englischen Fußball werde das viele Geld nicht gut bekommen. In bewährter deutscher Überheblichkeit hat man stattdessen gemeint, dass am Ende von den wuchernden Verhältnissen in der Premier League lediglich einer profitieren werde: die Bundesliga. Weil die deutschen Klubs demnächst für relativ kleine Münze die überfüllten, aber bestens besetzten Ersatzbänke abräumen könnten.

Diese Vision der Schlaumeier hat sich vorerst erledigt, und man erlebt nun an der englischen Vereinnahmung des Europacups, dass auf der Insel mit dem Wohlstand auch der Sachverstand gestiegen ist. Daraus folgt die ernüchternde Erkenntnis, dass sich die Bundesliga zu einem braven Zulieferbetrieb für die englische Maschinerie entwickelt hat.

Einerseits mag es ja ein Kompliment für die Arbeit hierzulande sein, dass die in deutschen Klubs ausgebildeten Spieler Matip, Rüdiger, Kolasinac, Leno, Özil und Mustafi zum Startpersonal für die Finals gehören könnten, neben langjährig erprobten Bundesliga-Importen wie Firmino, Son, Aubameyang und Xhaka. Andererseits gibt diese Namensliste gut Auskunft über den Irrtum, die Engländer wüssten mit ihrem Kapital nichts anzufangen. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass die vier Finalisten ihre kostbaren Teams von zugereisten Spezialisten betreuen lassen: Vorneweg auf ihren Trainerbänken sitzen ein Deutscher, ein Argentinier, ein Spanier und ein Italiener.

Richtig ist allerdings auch, dass die englische Allgewalt auf eine Periode folgt, in der die Spanier den Wettbewerb beherrschten, und dass sie überdies Ausdruck eines historischen Phänomens ist. Beim FC Bayern, beim FC Barcelona und bei Real Madrid sind große Spielergenerationen in die Jahre gekommen. Alle drei Klubs haben bereits klargestellt, dass sie sich jetzt nicht die Zeit nehmen werden, über einen längeren Zeitraum geduldig neue Erfolgsteams aufzubauen.

Die Hyperinflation auf dem Transfermarkt wird im Sommer die nächsten Höhepunkte erreichen, die Bayern etwa haben ihr Festgeldkonto bereits um rund 120 Millionen Euro erleichtert - für zwei Verteidiger. Barcelona hat dagegen beim ersten Gewaltakt schon danebengelegen: Die teuer erzwungenen Erwerbungen von Ousmane Dembélé und Philippe Coutinho haben sich bis jetzt nicht rentiert. In England könnte man sagen: Dumm sind inzwischen die anderen.

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