Kommentar:Infantinos zahnlose Aufpasser

Das Ethikkomitee der Fifa soll eigentlich Verstöße im Verband aufdecken. Doch die Chefermittlerin zeigt Beißhemmung.

Von Thomas Kistner

Hat die Fifa noch ein Ethikkomitee? Doch, hat sie! Soeben wurde die Korruptionssperre des Generalsekretärs von Antigua und Barbuda um zwei Jahre verkürzt. Auch dafür ist der Ermittlungstrupp zuständig, vor allem aber soll er den Großen unter den bösen Weltverbandsbuben nachstellen. Leuten wie Sepp Blatter und Michel Platini, einst die Mächtigsten der Fußballwelt, die 2015 von den Ethikern aus den Ämtern geholt wurden. Damals hatte die Fifa einen Ermittlerstab, für den das Wort "unabhängig" keine Floskel war. Und der auch ab 2016 unter Gianni Infantino Furcht und Schrecken verbreitete - auch beim neuen Fifa-Boss persönlich, der wiederholt Voruntersuchungen ertragen musste.

Und so servierte Infantino die beiden unbeugsamen Strafjuristen aus Zürich und München, Cornel Borbely und Hans-Joachim Eckert, 2017 in einer Nacht- und-Nebel-Aktion ab. Als Chefermittlerin setzte er die Kolumbianerin Claudia Maria Rojas ein - eine Verwaltungsrichterin ohne jede Erfahrung in Strafrecht und europäischem Recht; nicht einmal die Fifa-Amtsprachen Englisch, Deutsch, Französisch beherrscht die Frau aus Cali. Die Folge: Seither staubt das Gros der von den rührigen Vorgängern angelegten Aktenordner vor sich hin, von Rojas sind fast keine Aktivitäten bekannt. Die Fifa kann sie im Bedarfsfall an der kurzen Leine führen: Papiere müssen ins Spanische übersetzt, Zeugengespräche gedolmetscht werden.

Dass der umstrittene Infantino, dessen dünne Machtbasis der Südamerika-Verband Conmebol bildet, in Rojas die Idealbesetzung fand, ist kein Geheimnis. Ebenso, dass die Chefermittlerin in der Heimat so gute Drähte zum alten Verbandschef Luis Bedoya hatte, dass sie sich deshalb in einem Prozess einmal für befangen erklärte. Dieser Bedoya geriet 2016 in die Fänge der US-Bundespolizei FBI, das ja Südamerikas komplette korrupte Funktionärswelt ausgehebelt hat; nun wartet er in New York auf sein Urteil.

Bedoya ist weg, aber Rojas pflegte auch zum neuen Verbandschef Kolumbiens eine innige Beziehung: Ramon Jesurun. Er war es auch, der Infantino die Dame ans Herz legte, als dieser eine möglichst zahnlose Besetzung für das Ermittlerduo Borbely/Eckert suchte. Jesurun, der auch im Fifa-Vorstand (Council) sitzt, ebnete Rojas den Weg. Er habe ihr den Job vermittelt, erklärte Rojas damals offen: "Es war eine große Überraschung!"

Groß ist auch die Überraschung, dass sie jetzt den Freund und Förderer ins Visier nehmen muss. In der Heimat wird gegen Jesurun und andere Topfunktionäre, darunter der in US-Gewahrsam weilende Bedoya, wegen Verdachts auf Unterschlagung und Weiterverkauf von Tickets ermittelt. Die Beschuldigten sollen für acht WM-Quali-Spiele Kolumbiens Karten weit überteuert weiterverkauft haben, gab die Justizstelle der Handelskammer bekannt. Um 42 221 veruntreute Tickets geht es, der Gewinn soll bei 3,8 Millionen Euro liegen. Jesuruns Nationalverband FCF soll kräftig mitgeholfen haben, was er per Pressetext bestreitet.

Die Fußballwelt wartet nun gespannt auf ein Verfahren der Fifa-Ethiker. Womöglich wird so eines sogar eröffnet: Formal. Aber, die Wette sei gewagt, eine Suspendierung des Freundes und Fifa-Vorstands wird es nicht geben. Jesurun wird in turbulenten Zeiten wie diesen, in denen Infantino um seine Wiederwahl 2019 kämpft, so dringend gebraucht wie der ganze Südamerika-Verband. Gerade hat Conmebol mit einem offiziellen Antrag den Verhandlungsweg für Infantino geebnet: Der will die Katar-WM 2022 von 32 auf 48 Teams aufpumpen. Und auch der Name von Conmebol-Chef und Fifa-Rat Alejandro Dominguez fiel bereits im Fifa-Prozess. Rojas Ethiker ließ das kalt. Dass Infantinos neue Fifa, wie er gern erzählt, ganz anders sei als die alte, hochkorrupte, mag zutreffen. Jedoch ist nicht erkennbar, dass sie ein Jota besser ist.

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