Kommentar:Infantino in Turbulenzen

Kistner

Fifa-Präsident Gianni Infantino sieht sich mit massiven neuen Vorwürfen konfrontiert. Die Außenwelt wird den Maßstab der Korruption anlegen müssen.

Von Thomas Kistner

Ihr wahres Gesicht kommt wieder zum Vorschein, und wieder gerät die Fußballwelt in Aufruhr. Über die jüngsten Enthüllungen könnten sich ja nun auch wieder Strafermittler beugen, auf der Suche nach neuen Verdachtsfällen oder nach letzten Puzzleteilen für ihre laufenden Verfahren rund um den Weltverband Fifa. Enorme Datenmengen hat ein internationaler Medienverbund ausgewertet , schwerer wiegend erscheinen allerdings nur die Vorwürfe, die sich gegen Gianni Infantino richten.

Sicher (und auch nicht neu) ist, dass der Schweizer in großen Turbulenzen steckt. Gut belegt ist ja, dass Infantino, der den Fifa-Thron im Februar 2016 von dem zum Karriereende suspendierten Langzeit-Präsidenten Sepp Blatter übernommen hatte, an die dunkle Ära angeknüpft und sie seither sogar noch düsterer gestaltet hat. Dieses Bild hat sich in allen fußballrelevanten Kreisen verfestigt, die nicht direkt von Infantinos obskuren Politik- und Geschäftsrochaden profitieren. Müßig, all seine Eskapaden aufzulisten, die Kernbotschaft des Autokraten hat die Fifa im August verbrieft: Da trat ihr neuer Ethikcode in Kraft, das Wort "Korruption" ist darin einfach gestrichen worden. So hat Infantinos Kameradenverbund - der Fifa-Apparat wurde generalüberholt - das Grundübel der Branche ausgerottet: Per Löschtaste. Klick.

Vieles, eigentlich alles in seiner Regentschaft weist darauf hin, dass Infantino die Fifa-Geschäfte tatsächlich völlig willkürlich führt. Umsäumt von einem Kordon Erzgetreuer, hat er in der Zürcher Verbandszentrale nach Belieben gefeuert und geheuert. In das im Zuge der Fifa-Reform formal stark aufgewertete Generalsekretariat vermachte er Fatma Samoura; die Senegalesin war jahrzehntelang als UN-Mitarbeiterin in Afrika tätig und bar jeder Fußball- oder Verbandserfahrungen. Dass sich das bisher nicht geändert hat, ist offenkundig erwünscht.

Nun sieht sich Infantino mit massiven neuen Vorwürfen konfrontiert: Kungeleien mit Paris SG und Manchester City, Amtsmissbrauch und anderes. Und die Außenwelt wird, auch wenn Infantinos sogenannte neue Fifa den Begriff "Korruption" abgeschafft hat, diesen Maßstab wieder anlegen müssen. Das gilt vorneweg für die von der Fifa regierte Sportwelt - und insbesondere angesichts der Tatsache, dass ihr oberster Boss in einer verdeckten Großoperation den Fußball global neu aufstellen will. Und das unter Umgehung aller Instanzen und Funktionäre, die solche epochalen Entwicklungen begleiten, prüfen und absegnen müssten.

Intern setzt sich Infantino über alle Regeln hinweg, extern gern ins Boot mit Geschäftemachern aus der internationalen Hochfinanz. Und zudem mit Gewaltherrschern wie denen in Saudi-Arabien, die den Weltfußball für ihre geopolitischen Strategien instrumentalisieren wollen. Dass sein mysteriöses Lieblingsprojekt, ein 25 Milliarden Dollar schwerer Deal für zwei äußerst dröge Turniere (eine umgebastelte Klub-WM und eine neue Nations League) auf fragwürdigen Nebenabreden beruhen dürfte, ist schon seit März klar - damals hatte er seinen Fifa-Vorstand mit dem Milliardenbetrag einfach zu überrumpeln versucht. Dabei gelang ihm Einzigartiges: Selbst den sonst so empfänglichen Weltfunktionären erschien diese Offerte, die ihnen ohne jede nähere Erklärung unterbreitet wurde, als zu abenteuerlich. Sie winkten ab.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Infantino seither auch dort um Verbündete wirbt, wo die Geldgier noch größer ist als in den Verbänden: bei Europas Großklubs. Hier wird der Rummel um die Plastikkugel erst ab achtstelligen Beträgen interessant, hier finden Gleich und Gleich zusammen. Ob Klub-WM, Nationenliga oder eine europäische Superliga der Großklubs, wie sie die Branchenriesen hinterm Rücken der anderen Klubs auszukungeln versuchten: Mal sehen, wie lang die Zahlkundschaft das mitmachen will.

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