Kommentar:Im lauwarmen Bereich

Der Ausfall von Severin Freund offenbart, woran es im deutschen Skispringen gerade hakt: Seine Kollegen springen weder gut noch schlecht. Das wird zum Problem, weil Bundestrainer Schuster nun Ergebnisse erwartet.

Von Volker Kreisl

Es sah danach aus, als würde dieses Finale doch noch zum Startschuss werden. Andreas Wellinger aus Ruhpolding hatte nach seinem Qualifikationssieg und dem Schanzenrekord in Bischofshofen gezeigt, welche Fähigkeiten in ihm stecken, und weil auch alle anderen deutschen Skispringer beste Platzierungen hatten, stand die Wende im deutschen Skispringen quasi bevor. Vielleicht ein Sieg, mindestens ein Podestplatz, oder ein Signal für den Aufschwung deutete sich an. Dann kam der Abend. Die Deutschen hatten wieder nichts mit den vorderen Plätzen zu tun, und Wellinger erreichte nicht mal den zweiten Durchgang.

Das letzte Springen der Vierschanzentournee offenbarte noch einmal die Lage dieser Mannschaft. Sie kann sich zurzeit nicht hinter einem Besten verstecken, weil der Titelsammler der vergangenen Jahre, Severin Freund, selber erst wieder in Form kommen muss. Sie steht also plötzlich im Rampenlicht, und wenn dieses besonders hell strahlt, wenn es darauf ankommt, dann hakt es im Sprungablauf. Bis auf wenige Ausnahmen gelang den Sportlern von Bundestrainer Werner Schuster bei dieser Tournee immer nur einer von zwei Sprüngen. Sie deuteten an, was sie können, vollendeten es aber nicht. Bis auf Markus Eisenbichler, der noch bis Innsbruck um das Podest mitsprang, geht die Mannschaft als Verlierer von der Schanze.

Das Problem: Das Prinzip Tritt-in-den-Hintern ist eher kontraproduktiv

Wellinger, Richard Freitag, Stephan Leyhe und Karl Geiger haben teils exzellente, teils solide Springer-Anlagen, sie waren zuletzt nicht richtig schlecht, aber auch nicht richtig gut. Sie platzierten sich verlässlich zirka zwischen Rang 23 und Rang acht. Das ist besser als zum Beispiel die Finnen, die zwar bald WM-Gastgeber sind, aber in einer schweren Krise stecken. Und es ist schlechter als die siegreichen Polen oder die Österreicher mit ihren Top-Springern Stefan Kraft und Michael Hayböck. Die Deutschen springen im sicheren, lauwarmen Bereich.

Das Problem besteht darin, dass es im Skispringen nicht möglich ist, schleppenden Formaufbau mit Auswechsel-Drohungen oder Medizinball-Training anzutreiben. Springer brauchen ja gerade die innere Stabilität, das Prinzip Tritt-in-den-Hintern ist eher kontraproduktiv. Andererseits merkte man Schuster bei der Tournee an, dass er langsam auch ein bisschen ungeduldig wird mit seinen Springern. Er kann zwar, wie bei Freund zu sehen war, lange warten, bis ein Athlet reift, aber irgendwann hängt dessen Vollendung nur noch vom Betreffenden selber ab. Und nun erwartet Schuster Ergebnisse.

Meistens finden Sportler zum zuverlässigen Erfolg, wenn sie ihre Karriere in die Hand nehmen, bei Eisenbichler war dies in den vergangenen Monaten zu beobachten. Sie riskieren mehr und pendeln zwischen Rückschlägen und Bestleistungen, aber sie verlassen die Sicherheitszone. Andreas Wellinger befand sich demnach in Bischofshofen immerhin auf dem richtigen Weg. Er war am ersten Tag mit Leichtigkeit Erster und am zweiten Tag Einunddreißigster, weil er am Sprungtisch zu früh zu viel wollte. Das war einmal ganz heiß und einmal ganz kalt - aber immerhin nicht mehr lauwarm.

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