Kommentar:Horror hat Sendepause

Der Mythos der Abfahrt in Kitzbühel nährt sich durch die vielen Stürze. Die diesjährige Dramaturgie zeigt, dass das Rennen ohne Krankenhaus-Transporte funktioniert.

Von Klaus Hoeltzenbein

Nacht zum Sonntag, kurz nach Mitternacht, ein Film im Zweiten Deutschen Fernsehen. Ein Mann spricht dort von einem Mordversuch. Neben ihm sitzt die Freundin, als Kulisse dient das Kitzbüheler Panorama, und Hans Grugger sagt: Er sei froh, dass ihn die Streif habe überleben lassen. Er sei erleichtert, dass er sich überwinden und an den Tatort zurückkehren konnte. Er befahre die Piste, auf der er 2011 fast zu Tode kam, gar wieder vorsichtig auf Skiern, auch jene "Mausefalle", in der alles geschah. Was könne denn die Streif für sein Schicksal? Er habe nie anderes gewollt, als dort eine Abfahrt zu fahren.

Zum Glück hat Kitzbühel am Samstag fröhlichere Bilder präsentiert. Nicht blutige wie jene, die nächtens im ZDF zu sehen waren. Gleich mehrere TV-Sender nahmen die gefürchtetste Abfahrt der Welt zum Anlass, den 2015 erschienenen Film "Streif - one hell of a ride" zu zeigen, in dem Hans Grugger ein Hauptdarsteller ist. Es ist ein Dokumentarfilm, der dem Kitzbühel-Mythos und den Horrorstürzen huldigt. Ein Werk, das fiktionale Grusel-Konkurrenz nicht fürchten muss. In vielen Zeitlupen und Perspektivwechseln wird gezeigt, was real passiert, wenn beim Alpin-Rodeo der Athlet die Kontrolle verliert. Spätestens beim Sturzflug von Daniel Albrecht wenden sich nicht nur Zartbesaitete mit Grausen ab. Den Schweizer hatte 2009 ein künstlich erschwerter Zielsprung in die Klinik und aus der Karriere katapultiert.

Mit Kitzbühel-Siegern ist es wie mit Olympiasiegern: Ihre Namen bleiben für die Ewigkeit. Ebenso ist es dort, und nur dort, mit der Würdigung der Opfer dieses Temporausches. Im Januar 2016 kamen einige nicht ins Ziel, auch Aksel Lund Svindal nicht, der schon so viele Rennen, aber noch nie Kitzbühel gewann - 50 000 Zuschauer schrien auf in wohligem Entsetzen.

Der Norweger erlitt fast einen Totalschaden im Knie, erholt hat er sich davon bis heute nicht.

Für die Streif vom Januar 2017 muss die Höllenritt-Dokumentation nicht umgeschnitten werden. Natürlich gab es Ausfälle, aber nur zwei, die kurz den Schauder weckten. Die Zentrifugalkräfte drückten den Schweizer Beat Feuz ins orangene Fangnetz, das besser hält als die klapprigen Holzzäune von einst. Und beim Österreicher Max Franz löste sich nach einem Schlag die Bindung. Dennoch war es ein spezielles Rennen. Es hat bestätigt, dass die Streif die knatternden Helikopter und die Blitz-Diagnose aus dem Spital für eine spannende, faire Dramaturgie gar nicht braucht. Vorrangig braucht sie die Sonne und eine gute Sicht. Garantiert ist das aber nie - die Sonne hat jeden Winter was anderes vor.

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