Kommentar:Hauptsache, vom Tisch

Lesezeit: 2 min

Wer Wada sagt, spricht vom IOC. Und der Ringe-Clan hat ein Strukturproblem mit Russland, das er gar nicht bereinigen kann. So wird das Problem eben beseitigt.

Von Thomas Kistner

Die russische Anti-Doping-Agentur Rusada wird nicht suspendiert. Selbstverständlich nicht, so muss ergänzt werden, das wäre ja auch eine Sensation gewesen. Stattdessen singt jetzt die Welt- und Dach-Agentur Wada Loblieder auf ihre jäh erblühte, "mustergültige" Kooperation mit just den Sportorganen, die über Jahre hinweg mit staatlicher Perfidie einen Dopingbetrug inszeniert hatten, den sich kein Hollywood-Autor hätte dramatischer ausdenken können - und der die Winterspiele 2014 von Sotschi komplett entwertet hat. Der fortgesetzte Kotau des Weltsports vor der Funktionärs-Armada des Kreml zeigt nur, dass das System weiter reibungslos funktioniert.

Die Wada-Experten werden sich über Daten beugen, die sie in Moskau abholen durften. "Vollständig" sei diese Fuhre, und weil die Wada das heute schon so klar beurteilen kann, darf auch das Resultat der Auswertung prognostiziert werden: Auftauchen werden allenfalls Ehemalige und die üblichen Bauernopfer: Hinterbänkler, die gern zur wahren Bedrohung des Milliardengeschäfts mit dem Spitzensport stilisiert werden. Dessen oberste Regel muss ja lauten: Je stärker der Athlet, desto sauberer ist er. Gedopt wird in dieser Logik weiter unten, wo sich mediokre Sportler tummeln. Schwarze Schafe, die es merkwürdigerweise trotz Zuhilfenahme verbotener Pharmaka nicht schaffen, an die Leistungen all der sauberen, leuchtenden Olympiahelden heranzudopen.

Schon zu Sowjetzeiten sammelte der Kreml Material über allerlei Sportführer. Das erklärt vieles

Was da also gerade abläuft zwischen Russland und der Wada? Die Endlosschleife zur Beruhigung des Publikums: brutalstmögliche Aufklärung, die in die Exkulpation der Sünder mündet. So muss es sein, wenn man die Protagonisten näher beleuchtet. Hier die Wada, die sich bisher noch stets als Propaganda-Arm des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) entlarvt hat und schon deshalb als regelnde Instanz nicht ernst zu nehmen ist. Dort die Russen, die den ganzen - nun ja: Aufklärungsprozess derart unverfroren mit Cyberangriffen begleitet haben, dass man sich die Auswertung der ausgedealten Daten wohl gleich schenken kann.

Die Wada ist nicht unabhängig. Linientreue IOC-Leute führen Regie, interne Kritiker werden notfalls mundtot gemacht. Aktuell betrifft dieser Vorwurf den Wada-Vorstand, wo Athletensprecherin Beckie Scott, als sie im Herbst für die Beibehaltung der Rusada-Sperre plädierte, auf so üble Art abgebügelt wurde, dass nun externe Governance-Experten dem Verdacht nachgehen. Scott gab nach der Sitzung ihr Amt ab: So läuft das in der Wada, die ein 78-jähriger Musterfunktionär lenkt. Der IOC-Mann Craig Reedie hatte den Russen übrigens 2015, als seine Wada erste harte Hinweise auf massive Dopingvergehen erhielt, vertraulich zugesichert, sie bräuchten sich deshalb keine Sorgen zu machen.

Und Moskau? Hat die Verbände seit der Sowjetzeit im Griff, als KGB und Stasi Informationen über wichtige Funktionäre sammelten. Viele sind heute in Schlüsselpositionen, hauptsächlich alte Männer lenken den Sport. Der Kuschelkurs des IOC in der Staatsdoping-Affäre nährt den Verdacht, dass die Olympier gar nicht anders umgehen dürfen mit Leuten, die jederzeit das pralle, immerzu anwachsende Sportarchiv des Kreml öffnen könnten.

Ist das nur ein dünner Verdacht, eine Unterstellung? Im Oktober bezichtigte die britische Regierung den russischen Militär-Geheimdienst GRU offiziell, Cyberangriffe auf die Wada gestartet zu haben. Parallel wurden sieben GRU-Mitarbeiter in den USA wegen "Hackings in Bezug auf 250 Athleten und Anti-Doping-Organe" angeklagt, in den USA und weltweit. Wie soll das also zusammenpassen: Moskau plündert die Datenbanken des Weltsports - dem es nun aber demutsvoll die eigenen, belastenden Daten übereignet: lückenlos und unmanipuliert?

Wer Wada sagt, spricht vom IOC. Und der Ringe-Clan hat ein Strukturproblem mit Russland, das er gar nicht bereinigen kann. Aber dieses Problem einfach beseitigen, es irgendwie vom Tisch kriegen: Das klappt immer. Gerade passiert es wieder.

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: