Kommentar:Gänsehaut- und Gruselshow

Der Meister steht fest, Spannung bezieht die Liga aus der Klumpenbildung im Keller. Dabei zeigt sich: Die beste Versicherung gegen den Abstieg sind Torjäger, die Tore schießen.

Von Klaus Hoeltzenbein

Alles lässt sich heutzutage versichern, es gibt Hochzeitsausfallversicherungen, Versicherungen gegen den Erstickungstod von Kanarienvögeln im häuslichen Gitterkäfig, oder Policen gegen Stöckelschuh-Katastrophen auf dem Catwalk. Jede Versicherung lässt sich individuell zuschneiden, es muss sich nur jemand finden, auf den Bahamas oder auf den Virgin Islands, der bereit ist, eine solche Hochrisiko-Police auszustellen. Und es soll ja auch, so sickerte aus gewöhnlich gut informierten Kreisen durch, neben Borussia Dortmund weitere Bundesligisten geben, die gegen das eigene Versagen gewettet haben.

Ist doch so eine Versicherung immer auch eine Wette. Gewettet wird - so man es nicht in Manipulations-Absicht tut - auf etwas, von dem man hofft, dass es eben nicht eintritt. Dortmund, das wurde vorige Woche bekannt, hat darauf gehofft, dass es niemals mehr die reich gefüllten Futtertröge der Champions League verpasst - und jetzt ist es doch passiert. Ein Konsortium, angeführt von zwei Firmen, die ihren Sachverstand im Namen tragen, Catlin Group Ltd. und XL Group Plc., wird den Dortmundern demnächst eine Millionen-Summe XY auszahlen. Als Kompensation für eine verkorkste Saison, für das Verpassen der Königsklasse. Was für die BVB-Bilanz mindestens so wichtig sein dürfte wie dieses 2:0 am Samstag gegen Eintracht Frankfurt, das die Chance auf einen Europa-League-Startplatz erhält.

Fünf Klubs haben zwischen 27 und 30 Punkte

Vorsorge empfiehlt sich aber eigentlich nicht gegen verpasste Ziele ganz oben, sondern eher ganz tief unten. Gegen den Abstieg. In den großen US-Profi-Ligen schätzen die Klubs das Risiko für den Geldbeutel der Eigentürmer so hoch ein, dass sie das Risiko schlichtweg storniert haben: Dort ist der Abstieg abgeschafft. Hierzulande aber existiert diese Gänsehaut- und Gruselshow weiterhin, und hoffentlich bis in alle Ewigkeit.

Zumal sich nun, vier Spieltage vor Saisonabpfiff, ein Kandidaten-Paket am Tabellenende ballt: Freiburg, Hannover, der HSV, Stuttgart und Paderborn haben alle zwischen 30 und 27 Punkte gesammelt - sollte Paderborn an diesem Sonntag gegen Werder Bremen gewinnen, wird es noch kompakter. Viele sprechen vom dichtesten Abstiegskampf in der Historie der Liga, und löst sich dieses Knäuel nicht in Kürze auf, wird es doch noch ein scharfes Saisonfinale werden, auch wenn der FC Bayern, der Meister, längst gekürt ist.

Nicht bekannt ist, ob der HSV gegen den Absturz versichert ist. Man könnte es verstehen, wäre er es nicht. Denn wer als Einziger alle 51 abgeschlossenen Bundesliga-Spielzeiten überlebt hat, hält sich irgendwann für Fußball-Siegfried, für unverwundbar, für unabsteigbar. Aber wer weiß schon, was der HSV tut? Auskunftspflichtig ist nur Dortmund, der einzige börsennotierte deutsche Erstligist. Dass der BVB sein Versagen versichert hat, hätte deshalb längst jeder wissen können, nur hatte niemand das Kleingedruckte im 261 Seiten dicken Börsenprospekt gelesen.

Plötzlich rührt sich was im Uwe-Seeler-Revier

Wer Fußball nun trotz solcher Wälzer weiterhin - etwas naiv - als simples Spiel genießen will, der fand am Samstag eine Bestätigung: Ist doch die beste Lebensversicherung keineswegs eine Police. Sondern immer noch ein Torjäger - jedoch nur einer, der auch trifft. Das weiß der VfB, der durch das 2:2 (nach 2:0-Führung) gegen den SC Freiburg zwar weiterhin fest im Keller-Knäuel steckt, für den jedoch erneut Daniel Ginczek traf. Und weil Ginczek das im fünften Ligaspiel zum sechsten Mal gelang, ist bei den Schwaben trotz Platz 17 weiter Hoffnung.

Helfen tut es allerdings wenig, dass der VfB bereits 33, der direkt vor ihm liegende HSV aber erst 19 Saisontore erzielte. Hat doch der HSV mit seiner Minimalistenquote eine Maximalpunktzahl erreicht. Zudem tauchen im Uwe-Seeler-Revier kurz vor Toreschluss tatsächlich wieder Typen auf, die sich - im klassischen Sinne - daran erinnern, wo die Bude steht. Ivica Olic erzielte beim 3:2 gegen den FC Augsburg das erste Tor, seit er im Winter aus Wolfsburg kam; und Pierre-Michel Lasogga trägt durch seinen Doppelpack gar schon den Titel eines Saison-Rekord-Torschützen für den HSV. Gleichauf mit Rafael van der Vaart. Beider Quote: vier!

Vielleicht macht es Hannover wie einst Keith Richards

Wo die Bude steht, das wusste Bruno Labbadia als Profi meist. Seine Stürmer haben dem neuen HSV-Trainer das Heimspiel-Debüt versüßt. Im Kontrast zu den Vorgängen in Hannover, wo der Fünf-Spiele-Trainer Michael Frontzeck gleich zum Einstand ein 1:2 gegen Hoffenheim erklären musste. Ins Tor traf nur Lars Stindl per Elfmeter, ein Mittelfeldspieler, der demnächst weg und in Mönchengladbach ist.

Vermutlich ist es längst zu spät, aber sollte Hannovers Präsident Martin Kind doch noch auf die Idee kommen, den rasanten Absturz trotz horrender Versicherungsprämien finanziell abzufedern, könnte er sich an einem Modell orientieren, das Keith Richards einst wählte. Schließlich zählt beides, Fußball und Rock, zum Showgeschäft. Und schließlich verlief beider Sturzflug ähnlich rasant. Der Gitarrist der Rolling Stones erhielt damals ein Krankengeld von 1,1 Millionen Euro, weil er wegen eines gebrochenen kleinen Fingers drei Konzerte absagen musste. Hannover 96 stürzt durch eine Sieglos-Serie von nun schon 14 Spielen in der Tabelle ab. Keith Richards fiel auf den Fidschi-Inseln von der Palme.

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