Kommentar:Fußballer schlucken Schmerzmittel auf Vorrat

Borussia Dortmund - FC Schalke 04

Max Meyer von Schalke liegt im Spiel gegen Dortmund verletzt am Boden.

(Foto: dpa)

Nationalspieler Max Meyer nahm vor einem Spiel eine Tablette, ohne zu wissen, ob er sie wirklich braucht. Dass er das so unbedarft erzählt, ist Teil eines großen Problems.

Kommentar von René Hofmann

Es gibt sie noch, die Momente, in denen Sportler offen und unbedarft in ein Mikrofon plaudern und dabei spannende Einblicke in die Gepflogenheiten der Szene geben. Als der Schalker Fußball-Profi Max Meyer nach dem 3:1-Erfolg gegen Bremen gefragt wurde, wie das möglich gewesen sei, dass er trotz eines Bänderrisses in der wichtigen Partie auflief, dass er in dieser mit mehr als einem Gewaltschuss auffiel und trotz der Blessur nun gleich gut gelaunt weiter zur Nationalmannschaft reist, da antwortete der 21-Jährige: "Ich habe vorher eine Schmerztablette genommen und wurde getaped." Auf Nachfrage, ob tatsächlich ein bisschen Stabilisationsband am Fußgelenk und eine einzige Pille für eine derart verwunderliche Geschichte reichen, da antwortete Meyer, so hat es das Fachmagazin kicker protokolliert: Er hätte nicht einmal diese eine Tablette "unbedingt gebraucht".

Ein Nationalspieler, der Schmerzmittel offenbar auf Vorrat nimmt: So geht es also zu in Fußball-Deutschland anno 2016. Und die Tatsache, dass sich die Verwunderung darüber in scharf umrissenen Grenzen hält, sagt auch einiges. Das Ausschalten von Schmerzen wird offensichtlich selbstverständlich und systematisch betrieben. Wie weit verbreitet es ist, zeigt etwa eine Studie des Fußball-Weltverbandes Fifa, der zufolge bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika mehr als ein Drittel der Turnierteilnehmer vor Spielen zu einem nicht-steroidalen Antirheumatikum wie Aspirin oder Ibuprofen griffen. Bereits 2008 hatte Professor Wilfried Kindermann, der einstige Teamarzt der deutschen Nationalmannschaft, erklärt, die Spieler würden die Mittel wie Smarties einwerfen. Der Trend ist also nicht neu. Meyers Aussagen aber illustrieren, wie ungebrochen er wohl ist. Und das, obwohl die Debatte über die Gefahren der süßen Pillen deutlich vorangekommen ist.

Wegen der Nebenwirkungen, die selbst nicht verschreibungspflichtige Schmerzmittel bei sorgloser Einnahme haben können, warnt beispielsweise die oberste Arzneimittelbehörde der EU. Wer den Schmerz ausschaltet, kann - gerade in zweikampfintensiven Sportarten - seine Leistungsgrenze entscheidend verschieben. Nicht nur in Pflichtspielen, auch im Training. Aus diesem Grund hat das oberste Gericht in Italien bereits vor Jahren erklärt: Nicht in ihrem eigentlichen Sinne - also zur Schmerztherapie - verwendet, seien die Painkiller im Grunde nichts anderes als Dopingstoffe.

Der Nachweis im Einzelfall mag da schwierig sein, die Botschaft, wie der organisierte Sport den Schmerzmitteln generell begegnen sollte, die aber ist klar: eher zurückhaltend. Dieser Maßgabe aber kommen offenbar viele nicht nach. Für viele Sportler, Ärzte und Verbände gilt offensichtlich weiterhin: Was nicht dezidiert verboten ist, wird geschluckt.

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