Bundesliga:Europas Fußball schaut gerade nach Deutschland

Fußball - Geisterspiele

Zweikämpfe vor leeren Rängen, könnten bald wieder möglich sein in der Bundesliga.

(Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Weiterspielen ist kompliziert. Nicht weiterspielen auch. Überall in Europa trifft der Fußball auf ähnliche Bedenken, die Lösungen sind verschieden und bisweilen umstritten.

Kommentar von Claudio Catuogno

Dass Joe Anderson dem FC Everton nahesteht, ist nicht der Grund dafür, dass sich Liverpools Bürgermeister gerade mit dem FC Liverpool angelegt hat. Seit 30 Jahren wartet seine Stadt auf den Titel, mit 25 Punkten Vorsprung führen Jürgen Klopp und seine Männer die Tabelle an - zwei Spiele noch, dann könnte der Lohn der Saison eingefahren sein. Zwei Spiele, die Anderson verhindern will. Er fordert, die Saison abzubrechen und die Reds sofort zum Meister zu küren. Im Fall von Geisterspielen, wie sie auch die englische Liga anstrebt, würden sich "viele tausend Menschen zu Feiern versammeln", glaubt Anderson. Es wäre "eine lächerliche Situation". Überall dort, wo der Fußballbetrieb die Saison noch nicht an das Virus verloren gegeben hat, erreichen ihn dieselben Bedenken. Wie lassen sich Spiele ohne Publikum in Einklang mit Abstandsregeln und Maskenpflicht bringen? Fehlen die Tests, die der Profibetrieb bräuchte, nicht bei Pflegern und Erzieherinnen? Selbst wenn die Stadien leer sind: Welche Rudelbildungen löst man bei den Anhängern aus? Nicht nur in Liverpool, auch in Deutschland wurden die Sorgen der Bürgermeister nur teilweise zerstreut.

In Frankreich beendet die Liga die Saison, in Spanien gibt es Geisterspiel-Pläne

So sehr sich die Fragen gleichen, so unterschiedlich sind die Prioritäten der Politik. Was die Bundesliga in Deutschland ist, ein Nationalheiligtum, ist in Frankreich nicht die Ligue 1 - sondern die Tour de France. Insofern hat es nicht verwundert, dass die Pariser Regierung den in den September verschobenen Rad-Klassiker weiterhin stützt - während sie die Liga zum Abbruch zwang; Paris Saint-Germain wurde zum Meister erklärt. In Spanien hingegen, wo Klubs wie Real Madrid das königliche Selbstverständnis schon im Namen tragen, hat die Sportministerin die Primera División mit ihren Geisterspiel-Plänen gerade zur "Lokomotive" erklärt. Ein hübsches Bild, um Debatten über Sonderrechte die Substanz zu nehmen - zieht eine Lokomotive doch womöglich auch andere Gesellschaftsbereiche hinter sich her aus dem Abgrund hinauf. So möchte auch die Deutsche Fußball-Liga wahrgenommen werden mit ihrem Ansteckungsvermeidungskonzept.

Und Europas Fußball schaut gerade nach Deutschland. Dass die Runde aus Kanzlerin und Ministerpräsidenten den Sport bei ihrer Lockerungsrunde in dieser Woche noch außen vor ließen, war erwartet worden. Aber schon am Mittwoch soll klar sein, wann die Liga wieder losdampfen darf. Womöglich schon am 15. Mai? Für diesen Fall deuten sich hinter der verordneten Demut und Einigkeit schon wieder Konfliktlinien an: Für jenes Wochenende war ja der 34. Spieltag terminiert, und dessen Paarungen wären einigen Klubs zum Wiedereinstieg viel lieber als die des abgesagten 26. Spieltags. Dass sich hier bald wieder jeder selbst der Nächste sein wird, deutet sich bereits an. Am Freitagabend meldete der 1. FC Köln drei positive Corona-Tests. Der Klub nannte weder Namen noch Spielfeldpositionen der Betroffenen, doch erst am Vortag hatte die DFL mit Tests bei den 36 Erst- und Zweitligisten begonnen. Die drei anonymen Infizierten, die symptomfrei seien, hieß es, müssten sich nun in 14-tägige Quarantäne begeben. Der Trainingsbetrieb in Gruppen? Darf weiterdampfen! Doch man darf gespannt sein, was passiert, wenn Covid-19-Fälle gemeldet werden, nachdem die Teams ihr Training so richtig hochgefahren haben - mit Zweikampf, Grätsche und Speichelflug? Müssten dann die Behörden nicht eine Quarantäne für alle erzwingen?

Weiterspielen ist kompliziert, nicht weiterspielen auch. In den Niederlanden klagen jetzt der Erste und der Zweite der zweiten Liga dagegen, dass sie wegen der abgebrochenen Saison nicht aufsteigen. Wenn es ums Geld geht, rollt so eine Lokomotive auch mal zügig ins Gericht.

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Fredi Bobic

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