Kommentar:Fortgesetzter Irrsinn

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Ist das Experiment gescheitert? 18 Spieler der Miami Marlins sind positiv auf das Corona-Virus getestet worden. (Foto: Lynne Sladky/AP)

Es war ein ambitionierter Plan, den die US-Baseballliga gefasst hatte. Viele nannten ihn töricht und arrogant. Er scheint nun auch früh zu scheitern.

Von Jürgen Schmieder

Die nordamerikanische Baseball-Profiliga MLB hat vor rund zwei Wochen ein Experiment gestartet, es war in Sachen Ignoranz und Arroganz vergleichbar mit der amerikanischen Zeichentrickserie "Pinky and The Brain", die Ende der Neunzigerjahre lief: Darin versuchen zwei Labormäuse täglich aufs Neue, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Was das aktuelle Baseball-Geschehen angeht: Auch da dürfte jetzt jeder erkannt haben, dass es nicht funktionieren wird. In der vergangenen Woche sind 18 Spieler der Miami Marlins positiv auf das Coronavirus getestet worden, am Montag kamen sieben Akteure der St. Louis Cardinals dazu. 24 Spiele sind bislang verlegt worden.

Der Liga-Chef Rob Manfred sagt dazu: "Es gibt keinen Grund, jetzt aufzuhören. Die Spieler müssen sich besser benehmen - aber ich bin keiner, der aufgibt." Das liegt auf der in der Sportpolitik nach oben ohnehin offenen Dreistigkeitsskala noch ein paar Stufen über der Entscheidung des Fußball-Weltverbandes Fifa, dass dessen Präsident Gianni Infantino trotz eines Strafverfahrens gegen sich im Amt bleiben darf - weil im Fall der MLB wissentlich die Gesundheit von Menschen gefährdet wird. Mehrere Spieler haben bereits erklärt, dass sie die Aussage von Manfred für unnötig und töricht halten würden. John Lester von den Chicago Cubs sagte: "Das Risiko liegt doch bei uns, wir sind in Gefahr."

Weder die MLB noch die Spielergewerkschaft MLBPA dürfen nun jammern, dass sie das Coronavirus ganz besonders schlimm treffen würde - sie haben selbst diesen Schlamassel verursacht, weil sie sich aus lauter Geldgier nicht auf ein sicheres Prozedere einigen konnten. Sie hätten, wie es die Basketballliga NBA (in Orlando) oder die Eishockeyliga NHL (in Toronto und Edmonton) tun, die Saison in zwei Blasen in den US-Bundesstaaten Arizona und Florida ausrichten oder weniger Spiele veranstalten können.

Aber nein: Es mussten 60 Partien pro Team innerhalb von 66 Tagen sein, um noch möglichst viel TV-Geld kassieren zu können. Die Partien finden in den jeweiligen Stadien der Klubs statt, die Mannschaften sind permanent unterwegs. Das Chaos ist bereits immens, nun kommt an der Ostküste noch ein Tropensturm hinzu, wegen dem die Partie zwischen den New York Yankees und den Philadelphia Phillies verlegt wurde. Und es dürfte noch mehr positive Corona-Tests geben: Bei den Phillies etwa hat es nun zwei Mitarbeiter erwischt, weshalb die Spieler jetzt täglich getestet werden.

Es ist keine Schande, ein Experiment zu starten; selbst eines, bei dem die Aussicht auf Erfolg derart gering ist wie bei diesem, eine Baseballsaison mit 900 Partien (plus Playoffs) innerhalb von zwei Monaten in 30 verschiedenen Stadien auszutragen. Es ist auch keine Schande, ein Experiment abzubrechen, wenn es ganz offensichtlich nicht funktioniert. Es ist aber eine Schande, ein Experiment fortzuführen, obwohl jeder sehen kann, dass es bereits gescheitert ist.

© SZ vom 05.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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