Kommentar:Etikettenschwindel

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Kurz vor der Enstcheidung über Sanktionen gegen Russland lädt das IOC den Olympia-Chef des Landes zum Anti-Doping-Gipfel. Kameradschaft nach Art des Sports.

Von Thomas Kistner

Stanislaw Pozdnyakow, der Chef des russischen Olympiakomitees (Roc), ist ein Prachtkerl von Funktionär. Er ist genau der Typ Sportführer, dessen Expertise im Internationalen Olympischen Komitee ganz dringend benötigt wird. Der Mann hat irre Referenzen.

Er hat als russischer Olympiachef rein gar nichts mitgekriegt vom staatlich orchestrierten Doping zuhause, in seiner ureigenen Zuständigkeit. Nichts! Okay, diesen Freispruch hat das Sportbusiness selbst gefällt. Aber selbst wenn man mal annähme, ein Staatsapparat und all seine Mitverschwörer im angehängten Sportbetrieb könnten so ein Dopingsystem installieren, ohne dass die olympischen Funktionäre davon auch nur Wind bekämen - dann bliebe nur eine zwingende Konsequenz: Raus mit solchen Versagern! Raus mit Leuten, die dann ja die Unfähigkeit, die ihnen anvertrauten Athleten zu schützen und zu betreuen, aufs Kolossalste unter Beweis gestellt haben. Oder?

Nun, ganz so drastisch fällt die Reaktion des IOC unter dem deutschen Wirtschaftsanwalt Thomas Bach nicht aus. Ganz im Gegenteil. Zwar wird die Welt-Anti-Doping-Agentur am Montag erneut Sanktionen gegen Russland verhängen, weil ja bewiesen ist, dass dort bis Anfang 2019 weiter Daten manipuliert und wohl auch viele Dopingfälle wegretuschiert wurden. Aber die Wada ist ohnehin nur der verlängerte Arm des IOC. Dieses lädt am Wochenende zuvor zu einem Olympischen Gipfel ein - und zu den erlesenen Gästen zählt: Roc-Chef Pozdnyakow.

Deutlicher lässt sich nicht darstellen, wie ernst die Ringe-Makler den Kampf gegen den Sportbetrug nehmen. So ist die Veranstaltung mit dem Roc-Fachmann übrigens tatsächlich betitelt: "Kampf gegen Doping und der Schutz sauberer Athleten". Als wär's reinstes Kabarett.

Ist aber kein Scherz.

Andererseits: Wie liest man so eine fromme Themensetzung richtig? Kampf gegen Doping (also gegen das, was Russlands Sport seit Dekaden zerfrisst, natürlich ohne jede Ahnung des Roc) findet ja durchaus statt: üblicherweise bei Athleten in der Dritten Welt oder in der dritten Liga, die sich bei der Nahrungsergänzung vertan haben. Aber auf der Topebene? Alles clean! Es sei denn, es tritt irgendwo ein Datenleck zutage. Oder todesmutige Whistleblower. Aber die gibt's in der Sportfamilie so häufig wie Ananas in Alaska.

Nach dem Lausanner Gipfel wird dann über die Russen beraten. Kurzfristig wurde auch dieses (ursprünglich in Paris vorgesehene) Wada-Treffen jetzt an den Genfer See umgetopft, wo auch das IOC sitzt. Egal, der Ertrag steht eh fest: Betrogen haben nur unbekannte Staatsdiener. Und so restlos ahnungslos wie das Roc sind auch Russlands Turbosportler, denen dank gefälschter Daten sowieso nichts nachzuweisen ist. Ja, sogar die nationale Dopingfahndung Rusada kommt womöglich davon; ihr Chef spielt seit Monaten in westlichen Medien den Chefkritiker an der Kreml-Sportpolitik - als bettele er um seine Entlassung. Aber er fliegt nicht, und verfängt auch diese Show, bleibt am Ende der übliche olympische Etikettenschwindel: Russland spielt weiter mit. Vorübergehend wieder mal unter leicht verändertem Namen.

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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