Kommentar:England macht Stress

Kauf-Angebote und ihre Kettenreaktionen sind im Profi-Fußball üblich. Die enormen Dimensionen englischer Offerten sprengen nun aber jeden Rahmen.

Von Philipp Selldorf

Vor einer Woche hatte der Stuttgarter Manager Robin Dutt in Anbetracht des Geschehens auf dem Transfermarkt beklagt, dass der Profifußball im Begriff sei, sich in "ein reines Manager-Spiel" zu verwandeln. Jeder Verein habe doch inzwischen "seinen eigenen De-Bruyne-Fall", schimpfte er: "Kaum ein halbes Jahr da, eine Handvoll gute Spiele gemacht, dann kommt ein Angebot, und auf einmal wirst du als Verein unter Druck gesetzt." Dutt erwies sich mit diesen Worten als Prophet. Drei Tage später saßen der VfB-Stürmer Filip Kostic und dessen Berater in seinem Büro und erklärten ihm, dass der Spieler den Verein verlassen wolle. Namhafte Konkurrenzklubs, darunter Schalke 04, hätten ihm angeblich das drei- oder vierfache Gehalt geboten.

Am Samstag gehörte Kostic der VfB-Elf an, die 1:4 gegen Frankfurt verlor. Seine Leistung war nicht schlecht, beinahe hätte der schnelle Angreifer einen Treffer vorbereitet, aber sein Mitspieler Martin Harnik traf mal wieder das leere Tor nicht. Ob Kostic am nächsten Spieltag mit dem VfB in Berlin spielt oder mit Schalke gegen Mainz, das wusste am Sonntag niemand. Im großen Manager-Spiel waren zunächst die Verantwortlichen aus Wolfsburg am Zug, die ihrerseits mit den Kollegen aus Manchester und Mailand zu konferieren hatten.

Der Vergleich mit dem virtuellen Manager-Spiel, in dem Fußballfreunde am Computer mit fiktiven Millionen fiktive Teams bilden, hat seinen feuilletonistischen Wert, führt aber in die Irre. Es ist das ganz reale globalisierte Fußballgeschäft, das die Schalker bei Filip Kostic anfragen ließ, weil sie wussten, dass die Wolfsburger bei ihnen wegen Julian Draxler vorsprechen würden, nachdem sie Kevin De Bruyne verkauft hatten. Solche Kettenreaktionen sind in der Branche seit jeher üblich, neu sind die Dimensionen. Sie erhöhen erheblich den Stressfaktor für die Beteiligten. Früher wurde am letzten Tag der Transferperiode um einige 100 000 plus Gratifikationen gefeilscht, nun sind es 20 bis 75 Millionen Euro, um die hektisch zu verhandeln ist. Die Manager müssen entscheiden, ob sie jetzt auf Kosten der sportlichen Substanz für ihren Verein ein einträgliches Geschäft abschließen - oder ob sie ihr Kapital behalten, um das Geschäft bei nächster Gelegenheit mit noch höherem Profit abzuschließen. Jeder weiß ja: Schon im nächsten Sommer werden die verrückten Engländer sogar noch mehr Geld auf den Transfermarkt werfen.

Der Nervenkrieg werde bis zur letzten Minute dauern, sagte Heldt am Sonntag. Nur die betroffenen Spieler könnten vorher für Klarheit sorgen. Sie könnten Nein sagen zum großen Geschacher. Aber sie haben nichts dagegen, die Rolle von Spekulationsobjekten zu spielen.

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