Olympia:Ende des Rauschs

Tokio 2020 - Judo

Saubere Spiele? Die Folgen für Japan und die Welt wird man - wenn überhaupt - erst später sehen.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Ob Olympia in der Pandemie eine gute Idee war? Das Gefühl von Hoffnung, das die Spiele vermitteln sollten, könnte sich als trügerisch erweisen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Eine Studie der Universität Tsukuba und anderer Institute sagt, dass Sportschauen gut gegen Depressionen sei. Sport schauen wiederum konnte man zuletzt reichlich. Die Medienrechte-Inhaber bei Olympia in Tokio hatten viel Stoff zum Senden und Streamen. Gerade im Gastgeberland hob das die Stimmung. Die Freude über Japans Medaillenreigen drückt sich im regen "Tokyo2020"-Fanartikelverkauf aus. Weil die Übertragungen laufen, bekommen die Sportverbände ihr Geld aus den Fernsehverträgen. Und wenn man Sportlerinnen und Sportler fragt, dann spürt man viel Dankbarkeit. Ihr Training hat ein Ziel gefunden. Sie hatten Auftritte, die das Engagement von Sponsoren und anderen Geldgebern rechtfertigen.

War es also richtig, gegen alle Mediziner-Warnungen die Spiele in der Pandemie abzuhalten?

Wahr ist, dass in der sogenannten olympischen Blase viele Leute viel dafür getan haben, dass diese Spiele sowohl eine gute Erfahrung als auch kein Gesundheitsrisiko werden. Schwer zu sagen, warum ausgerechnet der IOC-Präsident Thomas Bach zuletzt so oft den Begriff Solidarität verwendet hat, der vor allem eine Forderung der Arbeiterbewegung gegen die Auswüchse des Kapitalismus beschreibt. Bach, der olympische Oberbonze, ist ja so etwas wie der fleischgewordene Klassenunterschied, wohnt im Luxushotel, während man im olympischen Dorf auf Betten aus Karton nächtigt, und steigt zu Sportlerinnen und Sportlern hinunter, wenn die Kameras laufen.

Aber tatsächlich, Zusammenhalt hat es gegeben: Die Athletinnen und Athleten, die Volunteers, die Medienschaffenden und viele andere haben sich den strammen, nicht immer stimmigen Anti-Corona-Regeln Japans unterworfen. Haben Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit hingenommen, eine obsessive Maskenpflicht, ständige Tests, Trennwände, leere Ränge, null Flair. Diese Spiele haben als Fernsehereignis funktioniert, weil sich alle, die damit zu tun hatten, zusammengerissen haben. Das TV-Publikum hatte seine Freude.

Olympia 2021 war nicht nur ein Ereignis ohne Flair. Es lenkte von den Risiken des Coronavirus ab

Trotzdem war es nicht richtig, die Spiele in diesem Sommer durchzuziehen. Hoffnung sollte laut IOC und japanischer Regierung die Botschaft der Wettkämpfe sein. Aber zur Hoffnung gehört eine nachhaltige Perspektive. Und so weit ist die Pandemie leider noch nicht, als dass man deren Ende klar vor Augen hätte. Tokio selbst ist ein gutes Beispiel.

Die Metropole hat während der Spiele eine neue Corona-Welle erfasst. Am Donnerstag meldete sie erstmals mehr als 5000 Neuinfektionen. Vergangenen Donnerstag waren noch 3865 Rekord. Ganz Japan erfährt einen Ausbruch, der im Inselstaat ohne Beispiel ist, vor allem wegen der besonders ansteckenden Delta-Mutante. Debatten laufen über die Weisung der Regierung, nur noch schwere Covid-19-Fälle in Krankenhäuser aufzunehmen, und über strenge Lockdowns, die Japans Verfassung noch verbietet. Wenn die Spiele am Montag vorbei sind, ist der Medaillenrausch zu Ende. Dann rückt wieder die harte Wirklichkeit in den Vordergrund.

Ob der Anstieg mit den Spielen zu tun hat? Schwierig zu sagen. Knapp 400 Infektionen gab es bisher in der olympischen Blase. Weniger unter Athleten als vielmehr unter anderen Beschäftigten der Spiele. Viele waren Einwohner Tokios, die aus der Blase hinaus- und wieder hineinpendeln durften. Es gab also Wege für das Virus, sich von Olympia aus in alle Richtungen zu verteilen. Die Folgen für Japan und die Welt wird man - wenn überhaupt - erst später sehen.

Vorerst kann man nur sagen: Weil Japan die Spiele durchzog, hatten viele im Inselstaat trotz Notstands das Gefühl, sie müssten den Infektionsschutz nicht mehr so ernst nehmen. Ein trügerisches Gefühl. Olympia 2021 war nicht nur ein Ereignis ohne Flair. Es lenkte von den Risiken des Coronavirus ab.

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