Karriere im Ski alpin:Neureuther war das Vollzeit-Gesicht seines Sports

Felix Neureuther

Felix Neureuther hört auf - es geht ein Großer des Ski-Sports.

(Foto: dpa)

Felix Neureuther tritt selten als typischer Athlet und Teilzeit-Egoist auf, im Gegenteil. Der alpine Skisport verliert in ihm die nächste große Persönlichkeit.

Kommentar von Johannes Knuth

Felix Neureuther hat am Samstag also seinen Rücktritt verkündet, nach 16 Jahren im Skirennsport, da kommt die eine oder andere Anekdote zusammen. Eine dieser Geschichten geht so: Beaver Creek, die Ski-WM 2015, der Teamwettbewerb. Die Deutschen waren mit großen Hoffnungen in das Rennen gezogen und verließen es als geprügelte Verlierer. Sie verloren in der ersten Runde gegen die Kanadier, Veronique Hronek zog sich einen Kreuzbandriss zu. Und auch sonst war der Ärger groß. Neureuther kritisierte nach dem Rennen, dass die Trainer falsch aufgestellt hätten, die Trainer sahen das ganz anders und hätten das alles ohnehin lieber intern diskutiert. Aber das sah Neureuther wiederum nicht ein.

Und dann, als Neureuther im Zielraum geschimpft hatte und das Stadion durch einen der wenigen Hauptausgänge verließ, weil alpine Skipisten nun mal selten mit Hintertüren oder Tiefgaragen ausgestattet sind - da lief er also einer Horde Zuschauer in die Arme. Fast jeder Zuschauer musste jetzt natürlich noch einen digitalen Schnappschuss mit dem berühmten Fußgänger anfertigen, der ihm da über den Weg gelaufen war.

Und nun? Viele Athleten hätten wohl abgelehnt, mehr oder weniger höflich: Sorry, muss noch zur Massage, oder in die Wachskabine zu meinem Servicemann, oder endlich mit Daheim telefonieren. Neureuther aber nahm sich viel Zeit. Irgendwann war die Traube der Autogrammjäger so groß, dass der Ausgang verstopft war und sich ein ordentlicher Rückstau bis ins Stadion hinein gebildet hatte. Aber es half ja nichts. Mussten sich die Menschen halt gedulden.

Erfolgreiche Profisportler sind immer auch Egoisten - nicht unbedingt rund um die Uhr, aber wenigstens auf Zeit. Sie wissen genau, wann sie und nur sie und ihre Belange an erste Stelle stehen sollten, damit sie am nächsten Tag den Erfolg an sich reißen können. Neureuther war da oft ein wenig anders. Er nahm sich und sein Befinden auch dann zurück, wenn er und sein Team gerade krachend ausgeschieden waren. Oder wenn er ein Rennen gewonnen hatte. Oder wenn er generell vielleicht etwas egoistischer hätte sein müssen, um sein großes Talent in noch ein paar Siege mehr zu überführen.

Aber das war in den 16 Jahren im Skisport nicht sein Maßstab: noch ein Weltcup-Sieg weniger oder mehr. Neureuther war selten einer dieser Teilzeit-Egoisten, er war meist Vollzeit-Gesicht seines Sports, das die großen Emotionen liebte und dabei auch Erfolg hatte. Was schon schwer genug ist bei den Alpinen, bei denen jeder Sieg so hart umkämpft ist wie das beste Angebot auf dem Wühltisch im Winterschlussverkauf.

Der 34-Jährige ist jedenfalls auch so zu einem der größten und bekanntesten deutschen Sportler aufgestiegen, ohne einen richtig großen Titel gewonnen zu haben - und das in einem Land, das nun wirklich nicht wenig auf seine Weltmeister und Olympiasieger hält. Aber letztlich war es mit Neureuthers Wirken so: Er gewann auch viele Menschen für seinen Sport, die sich nicht unbedingt dafür interessierten, sei es mit Auftritten, bei denen er sich spontan selbst interviewte, oder als geduldiger Autogrammschreiber. Er fand, dass man als Sportler auch nach peinlichen Niederlagen greifbar sein sollte.

Er gab viel von sich preis, auch Privates, er war ein Schutzschild für andere im Team, vor allem wenn es mal nicht so lief. Er gab im Training oft das Tempo vor, im Rennen sowieso. Und so war er, auch wenn der Körper zuletzt immer häufiger streikte, über Jahre ein zuverlässiger Punkte- und Medaillenlieferant. Auch wenn ihm der ganz große Erfolg auch vor einem Monat in Are, bei seiner neunten und letzten WM, verwehrt blieb.

Der alpine Skisport hat in diesem Winter viele große Persönlichkeiten in den Ruhestand verabschiedet, die auch deshalb so groß waren, weil sie für Reibung sorgten, ob im Guten oder im nicht so Guten: Da war Lindsey Vonn, die oft ihr eigene Reality-Show aufführte, Aksel Lund Svindal, der stille Gigant. Nun Neureuther, die deutsche Überfigur. Sie müssen die Lichter jetzt nicht ausknipsen, wie der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier am Samstag zurecht reklamierte. Aber was fehlen wird, wird man auch erst so richtig ab der kommenden Saison sehen. Wenn sie alle dann nicht mehr da sind.

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