Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Ein Vorbild - nicht abschieben

Dürfen für Fußballtrainer Gesetzesausnahmen gelten? Der Härtefall von Babelsbergs Coach Zahirat Juseinov.

Von Sebastian Fischer

Am Mittwoch um 19.30 Uhr trainiert die dritte Mannschaft des SV Babelsberg 03. Der Assistenztrainer Zahirat Juseinov wird auf dem Platz stehen wie an jedem Mittwoch. Das Team namens Welcome United 03 ist Deutschlands erste Mannschaft, deren Spieler Flüchtlinge sind; das meistgelobte Integrationsprojekt im hiesigen Sport. Juseinov, 35, ist einer der Gründer des Teams, er war sein erster Trainer. Juseinov lebt seit 2010 in Deutschland, als Flüchtling aus Mazedonien, einem sogenannten sicheren Herkunftsland. Er ist ein Härtefall. Einer, der die Kraft des Sports als Instrument der Integration verkörpert - und seine Grenzen. Juseinov, seine Frau und vier Kinder sollten am Dienstag abgeschoben werden.

Die Solidarität ist groß. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat am Wochenende erklärt, die Abschiebung sei widersinnig: Es müsse alles getan werden, dass "Hassan" - so Juseinovs Spitzname - bleiben könne. Die Petition "Hassan bleibt!" haben in wenigen Tagen 2 695 Menschen unterschrieben. Juseinov arbeitet für eine Straßenreinigungsfirma, zwei Töchter und ein Sohn gehen zur Schule, alle sprechen akzentfrei Deutsch, die dritte Tochter ist drei Monate alt. Juseinovs ehrenamtliches Engagement im Fußball ist vorbildlich, "unverzichtbar" sei er für den SV Babelsberg, sagt der Präsident Archibald Horlitz. Mit vielen Fans ist er befreundet. Juseinov hätte sich in fünfeinhalb Jahren nicht besser integrieren können. Es müsste deshalb ein klarer Fall sein, dass er bleiben darf. Eigentlich.

Asyl-Anträge von Menschen aus den Balkanstaaten werden in der Regel abgelehnt. Die Juseinovs sind Roma, sie gelten in Deutschland nicht als politisch verfolgt, trotz Berichten über Diskriminierung. Alle drei Monate musste Juseinov eine Duldung beantragen, nun sollte er sie nicht mehr bekommen. Es wurde zudem bekannt, Juseinov habe sich bei seiner Einreise als Iraker ausgegeben. Im Netz gab es, neben den üblichen abscheulichen, auch eher sachliche Gegenreden: Für Fußballtrainer sollten keine Ausnahmen gelten. Die CDU kritisierte Woidke, der ruderte zurück: Die Stadt habe geltendes Recht umzusetzen. Und rechtlich sieht es aus wie ein klarer Fall, dass Juseinov nicht bleiben kann. Eigentlich.

Am Dienstagvormittag war Juseinov nun eine halbe Stunde lang zur Beratung in der Potsdamer Ausländerbehörde, er verließ sie hoffnungsvoll: Seine Duldung wurde um drei Monate verlängert - auch weil er die Härtefallkommission des Landes Brandenburg angerufen hatte. Die Behörde prüft nun die Voraussetzungen für den Paragrafen 25a, nach der einem jugendlichen geduldeten Ausländer und seiner Familie eine langfristige Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn er seit mehr als vier Jahren in Deutschland lebt und zur Schule geht. Juseinovs Sohn erfüllt die Auflagen.

Es ist nicht der Sport, der eine Ausnahme für Zahirat Juseinov rechtfertigt. Es ist seine Verankerung in der Gesellschaft - für die der Sport wichtig war und ist. "Schießt erst mal aufs Tor, dann wird es besser", sagt er seinen Spielern, die auf dem Platz Beschäftigung und Anerkennung suchen. Am Mittwoch wird Juseinov erst mal aufs Tor schießen und hoffen, dass bald alles gut wird. Eigentlich sollte kein Mensch etwas anderes hoffen.

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SZ vom 02.03.2016
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