Kommentar:Ein bisschen Haltung

Kommentar: Redete in der Pressekonferenz in Baku eine halbe Stunde lang und ließ keine Frage unbeantwortet: Bundestrainer Joachim Löw.

Redete in der Pressekonferenz in Baku eine halbe Stunde lang und ließ keine Frage unbeantwortet: Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: Kirill Kudryatsev/AFP)

Der Sprecher des deutschen Nationalteams setzt in Aserbaidschan ein Zeichen für Meinungs- und Pressefreiheit - ganz anders als der DFB.

Von Claudio Catuogno

Als im Mai 2012 der Eurovision Song Contest in Baku stattfand, eine damals besonders bizarre Veranstaltung, bei der jenseits aller künstlerischer Erwägungen sogar der Schwiegersohn des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijev singen durfte, da wurde irgendwann Anke Engelke von der Hamburger Reeperbahn zugeschaltet. Sie sollte verkünden, wie die deutschen Fernsehzuschauer abgestimmt hatten. Aber bevor Anke Engelke ihre "Twelve Points" durchgab, schickte sie noch eine kurze Botschaft nach Aserbaidschan, lächelnd und in blendendem Englisch: "Heute Abend konnte niemand für sein eigenes Land abstimmen. Aber es ist gut, wählen zu können. Und es ist gut, eine Wahl zu haben. Viel Glück auf deiner Reise, Aserbaidschan! Europa beobachtet dich."

Dass sich da eine deutsche Entertainerin für 20 Sekunden nicht der verordneten "Thanks for the fantastic Show"-Choreografie unterwarf, verbreitete sich schnell durch die sozialen Netzwerke. Engelke erhielt Zuspruch aus ganz Europa. Natürlich ist dem Machthaber Alijev danach nicht der Gedanke gekommen, dass freie Wahlen tatsächlich mal eine feine Sache wären in seinem Land. Aber für einen Moment daran zu erinnern, dass Europa mehr verbinden sollte als Geträller und Glitzerregen - zum Beispiel: Menschenrechte -, ist ja auch schon was wert.

"Meinungs- und Pressefreiheit sind wichtig", betont DFB-Sprecher Grittner in Baku

Joachim Löw hat am Sonntagabend in Baku fast eine halbe Stunde lang fußballfachliche Fragen von deutschen und aserbaidschanischen Medienvertretern beantwortet, und als dann wirklich alles gesagt war zu diesem 4:1 in der WM-Qualifikation, schloss Jens Grittner, der Pressechef der Nationalelf, die Runde mit den Worten: "Sie haben gemerkt: Der Bundestrainer hat gerne alle Fragen beantwortet, damit sich wirklich jeder eine Meinung bilden kann. Es ist gut, wenn man sich eine Meinung bilden kann. Meinungs- und Pressefreiheit sind wichtig." Dann bedankten sich Löw und Grittner für die Gastfreundschaft.

Ein Anke-Engelke-Moment. Die aserbaidschanischen Kollegen applaudierten. Es wurde zwar nicht klar, ob der Dolmetscher Grittners Worte wirklich komplett übersetzt hatte - oder doch nur den Teil mit der Gastfreundschaft. Weniger wert wird der Appell dadurch nicht. Man kann immer nur im Rahmen seiner Möglichkeiten das Richtige tun.

Das öffentliche Eintreten für Meinungsfreiheit war auch deshalb bemerkenswert, weil der Führungsstab des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) dazu tagelang keinen Anlass gesehen hatte. DFB-Präsident Reinhard Grindel hatte während der Baku-Reise nach eigener Aussage keine Zeit, zum Beispiel Vertreter der dortigen Zivilgesellschaft zu treffen. Und auf Anfrage, wie der DFB die kritische Menschenrechtslage in Aserbaidschan kommentiere, hatte der Verband bloß auf ein Statement von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel verwiesen, wonach Deutschland "die Bemühungen Aserbaidschans um die demokratische Entwicklung weiterhin unterstützen werde". Eine solche Entwicklung ist allerdings gar nicht zu erkennen. Laut "Amnesty International" sind Drangsalierungen und Inhaftierungen von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten an der Tagesordnung.

Den Fußballern selbst kann man kaum vorwerfen, dass sie so eine Pflichtspielreise nicht in einen politischen Kontext stellen, sondern nur auf sich schauen: auf ihre Leistung, den Sieg, drei Punkte. Hinter dem Schweigen der Funktionäre musste man hingegen die übliche sportpolitische Anbiederung vermuten: Grindel will in die Führungsgremien von Uefa und Fifa gewählt werden, und auch für seine Bewerbung um die EM 2024 kann der DFB nicht nur in lupenreinen Demokratien um Stimmen werben.

Allerdings will der Fußball ja immer mehr sein als nur 90 Minuten auf dem Platz. Er reklamiert eine gesellschaftliche Bedeutung für sich, die über das Spiel weit hinaus geht, er will Vorreiter sein im Kampf gegen Rassismus und für Vielfalt und Teilhabe. Und tatsächlich löst der Fußball diese Botschaften häufig sogar ein. Löws Sprecher hat in Baku im Grunde nur ein paar Sätze gesagt, die in unseren Ohren wie Selbstverständlichkeiten klingen - aber sie waren auch eine Referenz an all jene, die solche Selbstverständlichkeiten in Aserbaidschan eben nicht sagen können ohne Angst vor Repressalien. So viel Haltung darf schon sein - die Nationalmannschaft hat sie in Baku bewiesen.

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