Kommentar:Die Zweifel bleiben

Sollte Markus Rehm nicht bei Olympia starten dürfen, wäre das kein Votum gegen Inklusion - sondern für eine Kultur der Vergleichbarkeit.

Von Johannes Knuth

Ein Gedankenspiel: Der aktuelle deutsche Weitsprungmeister Fabian Heinle nimmt sich vor, ab jetzt auch bei den paralympischen Titelkämpfen mitmachen zu wollen. Weil er sich mit Prothesen-Springer Markus Rehm messen möchte. Dürfte Heinle das?

Dürfte er nicht. Ziemlich sicher nicht. Weil er keine Behinderung hat, und überhaupt, folgt seine Springerei nicht anderen Gesetzen als die der Prothesen-Springer? Der Sport lebt davon, dass die Leistungen bei den Meisterschaften, seinen größten Messen, vergleichbar sind, er muss eine Kultur des nachvollziehbaren Wettstreits pflegen. Das darf man nicht vergessen, wenn in diesen Tagen wieder mal die komplizierte Frage verhandelt wird, ob der Prothesen-Springer Markus Rehm künftig bei den Nicht-Behinderten starten darf.

Wenn Rehm nun ein Gutachten präsentiert, das seinen Start bei Olympia ermöglichen soll, müssen die Ergebnisse immun sein gegen jeden Zweifel. Wenn künftig Prothesen-Springer Olympiasieger werden können, würde das die Förderung, die Sportart nachhaltig verändern. Die Erkenntnisse der Wissenschaftler, die Rehm beauftragt hat, lassen aber Raum für Zweifel, sie halten sogar fest, dass Weitsprung und Prothesen-Weitsprung zwei "völlig unterschiedliche Bewegungstechniken" sind. Es hilft kaum, dass Rehm aus der Studie ableitet, er verschaffe sich durch seine Prothese insgesamt keinen Vorteil. Insgesamt sind Prothesen-Weitsprung und Weitsprung wohl doch zwei verschiedene Übungen, zwei verschiedene Sportarten.

Ja, es braucht mehr Wettkämpfe, bei denen Athleten aus der immer leistungsfähigeren paralympischen Welt ihr Können ausstellen, sich mit Nicht-Behinderten messen können. Und ja, vielleicht muss man tatsächlich darüber nachdenken, ob man den Prothesen-Weitsprung ins olympische Programm rückt, in getrennter Wertung. Und dass der Weltverband IAAF zuletzt die Beweislast umkehrte und Rehm dazu nötigte, sich der Frage nach Vergleichbarkeit anzunehmen, ja, das war schlicht erbärmlich. Aber dass Rehm nun wohl nicht für Olympia zugelassen wird, wäre kein Votum gegen Inklusion - sondern ein Urteil für die Vergleichbarkeit. Gleichberechtigung bedeutet manchmal eben auch, so seltsam es erst einmal klingt, dass Menschen mit Behinderung auf Menschen ohne Behinderung Rücksicht nehmen müssen.

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