Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Die Start-Ups der Liga nehmen Anlauf

Dortmund, Leipzig und Hoffenheim haben junges Personal und gute Ideen. Noch können sie dem FC Bayern nicht gefährlich werden - aber vielleicht entsteht gerade etwas Großes.

Kommentar von Sebastian Fischer

Seit die Alte Dame Hertha beschlossen hat, sich ein frisches Image zu verleihen, steht im alten Olympiastadion ein frischer Spruch auf der Bande: "Berliner Start-Up seit 1892". Vor dieser Kulisse bejubelten die Berliner am Samstag einen verdienten Sieg gegen Borussia Dortmund. Und die Liga sah den Beweis dafür, dass dem FC Bayern schon zehn Spieltage vor dem Ende der Saison der Meistertitel nicht mehr zu nehmen ist. Die als Verfolger der Bayern gehandelten Klubs, allen voran Borussia Dortmund, aber auch RB Leipzig und, nun ja, die TSG Hoffenheim, sind in diesem Jahr einfach noch nicht so weit. Sie sind Start-Ups seit 2016/2017.

Wer die Aufstellung von BVB-Trainer Thomas Tuchel in Berlin sah, der konnte vermuten, dass dies eine typische Woche für die mal überragende, dann wieder schwächelnde, konstant unkonstante Borussia in dieser Saison werden würde. Unter der Woche hat der BVB wie im Rausch Benfica Lissabon aus der Champions League geschmissen. Am Samstag ließ Tuchel dann Ousmane Dembélé auf der Bank, der in den vergangenen Wochen oft den Unterschied gemacht hatte, deshalb müde war. Dortmund fehlte in Berlin "Effektivität und Präzision", wie Tuchel später eingestand. Es fehlte das entscheidende Etwas. Gleichzeitig verlor RB Leipzig zu Hause gegen Wolfsburg, und Hoffenheim gewann nicht in Freiburg.

Tuchel lässt Guardiola-Fußball spielen

Dortmund, Leipzig und Hoffenheim haben allesamt fähiges, junges Personal und die richtigen Ideen. Sie haben jeweils eine fußballerische Marktlücke entdeckt und sie effektiv besetzt. Tuchel und Dortmund mit einer Interpretation des Spiels, die der vom ja irgendwie schon vermissten Pep Guardiola in Deutschland gerade am nächsten kommt. In Berlin hatte der BVB 68 Prozent Ballbesitz, kombinierte Chancen heraus, manchmal sah es großartig aus, fast 80 Prozent der Pässe in der gegnerischen Hälfte kamen an. Leipzig hat sein viel beschriebenes radikales Pressing. Und Hoffenheim hat das Asset der vielleicht modernsten Spielauffassung der Liga, mit penetrant einstudierten Laufwegen und einer Aufteilung des Feldes in Korridore, in denen sich die Spieler für Überfallangriffe versammeln. Über jeden Matchplan von Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann könnten Taktik-Blogger nächtelang durchbloggen.

Wie es sich gehört für Start-ups, haben der BVB, RB und die TSG auch das nötige Kapital gesammelt. Die Leipziger haben es bekanntlich sogar so rücksichtslos investiert, dass sie demnächst Konflikte mit dem Branchengesetz namens Financial Fairplay befürchten müssen. Doch wie es bei Start-ups nun mal so ist, geht auch oft noch was schief. Ideen sind manchmal etwas übermütig und scheitern. Oder Mitarbeiter springen ab, weil sie plötzlich für ganz andere Unternehmen interessant geworden sind.

In Leipzig und Hoffenheim ist das eingeplant, beide übertreffen in diesem Jahr ihre Ziele, jedenfalls die öffentlich formulierten. In Dortmund bedarf es noch immer einiger Gewöhnung, jetzt wieder Hipster und Jungunternehmer zu beschäftigen. Ein börsennotiertes Unternehmen, wie es der BVB in Wahrheit ja ist, macht nun mal ungern einen Schritt zurück. Sie werden sich damit trösten, wenn es trotzdem für die Champions League reicht.

Bayern macht zwei Drittel lang Dienst nach Vorschrift - das reicht

Vielleicht wird diese Saison irgendwann als eine erinnert, in der ein paar spätere Branchenriesen ihren entscheidenden Anlauf für etwas Großes nahmen. Zunächst ist es aber mal die Saison des einzigen Branchenriesen, den es in Deutschland derzeit gibt. Der FC Bayern konnte sich leisten, zwei Drittel der Saison Dienst nach Vorschrift zu machen, um jetzt mit ein paar unmissverständlichen Statements seine Vormachtstellung unter Beweis zu stellen. Dafür brauchte scheinbar nur ein gemütlicher italienischer Trainer seine linke Augenbraue nach oben zu ziehen.

Der FC Bayern, der aktuelle und nächste deutsche Meister, kann entspannt auf die Start-Up-Szene herabschauen und sich in Ruhe überlegen, welche Ideen er sich abschaut, wer gefährlich werden könnte, wen er abwirbt. Immerhin: Die Bayern müssen sie alle im Blickfeld behalten, die Dortmunder, die Leipziger, die Hoffenheimer. Und, wer weiß, vielleicht ja sogar auch die Alte Dame Hertha, das Berliner Start-Up seit 1892.

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SZ vom 12.03.2017/chge
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