Thomas Bach:Die Schuld der anderen

FILE PHOTO: Interview with IOC President Bach after Tokyo 2020 postponement decision

IOC-Präsident Thomas Bach.

(Foto: REUTERS)

IOC-Präsident Bach grollt über die Kritik an seinem Umgang mit den Olympischen Spielen in Tokio - und entlarvt sich einmal mehr selbst.

Kommentar von Thomas Kistner

Thomas Bach hat ein Interview gegeben, und wie so oft, wenn der vormalige Industrieberater grollend sein Milieu verlässt, die schalldichten Hinterzimmer der Sportmacht, entlarvt er sich selbst. Diesmal war der Groll besonders groß. Nach seinem weltweit kritisierten Krisenmanagement in der russischen Staatsdopingaffäre bekam der deutsche Boss des Internationalen Olympischen Komitees jüngst wegen seines zögerlich-chaotischen Umgangs mit den Tokio-Spielen 2020 in der Corona-Krise heftige Breitseiten ab - aus jenen Bereichen der Globalgesellschaft, die nicht über Olympias goldene Geldhähne zu disziplinieren sind.

Hier, am Geld, verläuft die Bruchlinie zwischen Kritik und Zuspruch. Da ist es amüsant, dass Bach seine Tokio-Politik als Fest der Harmonie abfeiert, getroffen in vollem Einklang mit allen Verbänden, NOKs, Athleten. Begeistert applaudiert haben die, die ihm immer begeistert applaudieren: alle Institutionen und Personen, die am IOC-Tropf hängen. Oder die Karriereziele haben, wie IOC-Athletenvertreterin Jelena Issinbajewa, die stramm linientreue Putin-Vertraute. In der olympischen Spezialdemokratie ist Einstimmigkeit schlicht ein Verfassungsgrundsatz.

Wie hilflos er unter Druck agiert, zeigt Bach im Angesicht konkreter Vorwürfe

Anders als die Bach-Choräle des organisierten Sports auf seinen obersten Leader, ist die internationale Kritik am IOC-Boss nicht orchestriert. Und substantiell. Wie hilflos er unter Druck agiert, zeigt Bach im Angesicht konkreter Vorwürfe. Etwa bei der Frage, warum Mitte März in London noch ein olympisches Boxturnier stattfinden musste, als sich bereits die halbe Welt in den gesamtgesellschaftlichen Lockdown verabschiedet hatte.

Bach findet, es solle erst einmal jemand beweisen, dass die später infizierten Teilnehmer sich nicht anderswo angesteckt hätten. Und dann schiebt er die Schuld den Briten zu: Die hätten zum Zeitpunkt des Turniers noch keine Restriktionen verhängt; auch hätte es dort ja andere kulturelle Events gegeben: Na bitte! Londons bodenlose Ignoranz gegenüber der sich ausbreitenden Pandemie hat dazu geführt, dass England heute zu den Ländern zählt, welche die Krise am übelsten erwischt hat. Bach nutzt diese Ignoranz lieber als Ausrede.

Noch dreister wirkt das Versteckspiel hinter einem weiteren Akteur, der in der Krise alles andere als überzeugend auftritt: die Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese habe das IOC für sein Vorgehen gelobt, erzählt Bach, man sei mit der WHO ständig in Kontakt gewesen und habe gar eine Taskforce unterhalten. Lob von der WHO? Die ist ja selbst ganz massiv in die Kritik geraten. Sie stand in der Krise viel zu lange kreuzbrav hinter Pekings Führung und hat noch, als erste Länder Einreiseverbote gegen China verhängten, diese als unnötig bezeichnet. Der äthiopische WHO-Chef Tedros lobte Chinas Regenten für deren "totale" Offenheit und erzählte, dass "die Welt in Pekings Schuld" stehe. Fehlt nur noch, dass er das auch über seinen Taskforce-Partner IOC sagt.

Ein IOC-Boss, der mit dem Kadavergehorsam seiner Mittelempfänger und den untertänigen Expertisen in die Kritik geratener Organisationen hantiert, wirkt in diesen Zeiten ein wenig aus der Welt gefallen. Wer aber andererseits die trüben Wasser der Sportpolitik kennt, schaut ohnehin nur auf diesen einen Satz, den Bach jetzt auch gesagt hat. Ob er beim Kongress 2021 zur Wiederwahl antrete oder nicht? Das, sagt er, habe er "noch nicht entschieden". Erst sei zu klären, "wann die IOC-Session im nächsten Jahr überhaupt stattfindet". Hoppla! Vielleicht ja am besten gar nicht - sondern erst 2022? Dann hätte das Virus dem Amtsinhaber diskret ein zusätzliches Jahr auf dem Thron beschert.

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