Kommentar:Der Mann der Hinrunde ist Schalker

FC Schalke 04 - FC Augsburg

Schalke-Trainer Domenico Tedesco.

(Foto: dpa)

Domenico Tedesco führt vor, dass man selbst den verknöchertsten Traditionsbetrieb in ein Start-up-Gebilde verwandeln kann. Für die von Langeweile geplagte Liga ist das eine gute Nachricht.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Sollte es in einem halben Jahr, im Mai, doch noch mal zu einer solchen Zuspitzung kommen, wäre im Land akut um die Verkehrssicherheit zu fürchten. Die Live-Konferenz aus den Stadien der Bundesliga ist ja immer noch ein Klassiker im guten, längst nicht so alten Radio, die besonders auf Autobahnen und Fernstraßen geschätzt wird. Gerade dann, wenn sich die Bässe der Reporter überschlagen und mit der Stimme von Sabine Töpperwien ("Hallo, hier Köln-Müngersdorf!") gegen 17.15 Uhr zu einem Finale furioso vereinen. In solchen Augenblicken gehören die Hände ans Lenkrad, und nicht in die Luft.

Solche Augenblicke waren zuletzt aber rar gesät. Doch nun das, am letzten Spieltag der Hinrunde: Tor in Augsburg! Tor in Bremen! Noch ein Tor in Augsburg! Tor in Frankfurt! Videobeweis: Elfmeter gegen den FC Bayern! Endlich Zuspitzung, endlich Drama, endlich furioso. Und das nicht nur, weil Sven Ulreich in Stuttgart in der fünften Minute der Nachspielzeit diesen Strafstoß dann parierte und damit den inoffiziellen Herbstmeister-Titel für die Münchner noch ein bisschen fester hielt.

Fünf Treffer fielen in den sechs Samstagspielen allein zwischen der 89. und 95. Minute, da sich Borussia Dortmund im Topspiel am Abend ebenfalls lange bitten ließ, ehe Christian Pulisic den BVB-Tross wenigstens halbwegs versöhnt in die Bundesliga-Winterferien entließ. Zur Erinnerung: Fünf Punkte Vorsprung hatte die Borussia Anfang Oktober, nach sieben Spieltagen, auf den FC Bayern. Jetzt ist sie 13 Punkte hinten. Und es liegt an viel, viel mehr als nur am Münchner Trainertausch von Ancelotti zu Heynckes, dass BVB-Manager Michael Zorc heute schon die weiße Fahne hisst. Er wolle keine Illusionen rauben, erklärte Zorc am Sonntag, aber er sehe niemanden, der den FC Bayern bis Saisonende noch gefährden könne.

Der sechste Meistertitel in Serie liegt also zur Abholung bereit, ein kleiner Trost ist da allenfalls, dass es der wegen angeblich permanenter Hochspannung oft verklärten Premier League in England ähnlich geht: Pep Guardiola kann mit Manchester City bei elf Punkten Vorsprung ebenfalls heute schon in den Energiesparmodus für die Champions League wechseln.

Die Kernfrage bleibt, wie die Sehnsucht nach Drama gestillt werden kann

Gelegenheit also, den Blick nach innen zu wenden. Die Bundesliga hat ihre Probleme, und sie muss sich mit viel mehr befassen als nur der nachlassenden internationalen Konkurrenzfähigkeit, dokumentiert in einer ernüchternden Europapokal-Bilanz. Sie muss ihre Publikums-Analyse forcieren, nach einer gefühlten Zunahme der Wutfans. Die einen pfeifen zu früh, wie es Gladbachs Manager Max Eberl am Wochenende in leidenschaftlicher Rede beklagte; die anderen ignorieren weiterhin die Grenzen zur Gewalt. Und unter jenen in der Stammklientel, die den Komfort des Fernsehers bevorzugen, ist verstärkt Irritation darüber zu erkennen, dass sie angesichts von Salami-Spielplänen oft nicht wissen, was wann wo zu sehen ist.

Die Kernfrage aber bleibt, wie die Sehnsucht nach Drama gestillt werden kann, wenn die Meisterfrage schon zur Halbzeit beantwortet ist. Und ob es die Kundschaft als Kompensation honoriert, dass die Liga vor allem in ihren Nischen noch vital ist. In Augsburg und Freiburg, die sich ein fulminant-exemplarisches 3:3 lieferten; in Gladbach und Hoffenheim, wo sie mit Fantasie und scharfem Auge der Liga neue Impulse einimpfen. Dort sitzt das Zukunftskapital der Liga. Im Mittelstand, auf dessen Talent zur Innovation in Deutschland generell die Wirtschaft vertraut.

Und deshalb ist, bei allem Respekt, der Mann der Hinrunde auch nicht Jupp Heynckes. Sondern Domenico Tedesco, nicht nur deshalb, weil er jüngst in Dortmund (aus 0:4 wird 4:4) oder jetzt in Frankfurt (aus 0:2 wird 2:2) der Bundesliga-Konferenz im Radio wieder zum Comeback verhalf. Sondern weil er auf Schalke vorgeführt hat, dass man selbst den verknöchertsten Traditionsbetrieb in ein Start-up-Gebilde verwandeln kann. Und dass man weder mit 72, wie Heynckes, noch mit 32, wie Tedesco, zu alt oder zu jung sein kann für einen solchen Erweckungsjob. Das Alter ist in solchen Prozessen nicht mehr als eine Zahl.

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