Kommentar:Der kleine Lord Wiesel

"Lord Coe, haben Sie während ihrer Arbeit gepennt, oder sind Sie korrupt?" Der neue Präsident der Welt-Leichtathletik ist nicht qualifiziert für die Aufgabe, die olympische Kernsportart Nummer eins zu retten.

Von Joachim Mölter

Im Jahr 2000 ist der zweimalige 1500-Meter-Olympiasieger Sebastian Coe in den britischen Adelsstand erhoben worden: Als Baron Coe of Ranmore steht ihm für den Rest seines Lebens ein Sitz im britischen Oberhaus zu, dem House of Lords. Auf dessen gepolsterten Sesseln macht es sich der 59-Jährige sicher lieber bequem, als auf harten Stühlen herumzurutschen wie dem, auf dem er am Montagabend Fragen des Journalisten Jon Snow vom Fernsehsender Channel 4 beantworten sollte. Vor allem eine: "Haben Sie während ihrer Arbeit gepennt, oder sind Sie korrupt?"

Das klingt unverschämt, zumal einem Lord gegenüber. Doch diese Respektlosigkeit hat sich Coe verdient als Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF von 2007 bis 2015 und neuerdings als dessen Präsident. Das höchste Amt der IAAF hat er im August von dem 16 Jahre herrschenden Senegalesen Lamine Diack übernommen. Und der wiederum steht mit im Zentrum des jüngsten Doping-Skandals um die russische Leichtathletik, dessen erschreckenden Wahrheitsgehalt eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) am Montag in einem Bericht bestätigte.

Das Thema Doping hat Coe bei seiner Bewerbungsrede komplett ausgespart

Doch weder von Diacks erpresserischen Machenschaften, noch von Russlands organisiertem Doping will Sebastian Coe jemals etwas mitbekommen haben. Es sei jetzt seine Aufgabe, Dinge aufzuklären, Fehler zu beheben, stammelte er am Montag bloß immer wieder. Die britische Zeitung Independent beschrieb seine Antworten zweideutig als "weasel words": Worte eines Wiesels, Worte des Herumlavierens.

So verstrickt wie Sebastian Coe in den Seilschaften des internationalen Sportbetriebs hängt, ist nichts anderes zu erwarten, als dass er flink wie ein Wiesel herumlaviert, um nicht bei einem seiner vielen Sportkumpanen anzuecken.

Außer der IAAF steht Coe seit 2012 auch dem britischen Olympia-Komitee vor. Er sitzt im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), wo er die Nähe zu Präsident Thomas Bach pflegt. Die Erfahrungen, die er bei der erfolgreichen Olympia-Kandidatur seiner Geburtsstadt London für 2012 gemacht hat, bringt er bei Agenturen ein, die Bewerber bei der Vergabe von Sport-Großereignissen beraten (und wie man inzwischen weiß, arbeiten diese Bewerber nicht immer auf die feine englische Art). Vom Sportartikelhersteller Nike lässt sich der ehemalige Läufer weiterhin eine sechsstellige Summe überweisen, obwohl dessen Renommier-Laufprojekt in Oregon schwer unter dem Verdacht des Dopings steht. Ein Thema, das Coe bei seiner Bewerbungsrede um den IAAF-Thron im August übrigens ausgespart hat.

Man braucht im Grunde gar nicht mehr gespannt zu sein, wie der kleine Lord Wiesel um die Forderung der Wada herumlavieren wird, den russischen Leichtathletik-Verband aus seiner IAAF auszuschließen: Sebastian Coe ist nicht qualifiziert für die Aufgabe, die olympische Kernsportart Nummer eins aus dem Sumpf zu ziehen, in dem sie gerade zu versinken droht.

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