Kommentar:Der BVB ist ein Patient mit vielen Krankheiten

Bundesliga - Borussia Dortmund vs Werder Bremen

Seit acht Spielen ist der BVB in der Bundesliga ohne Sieg.

(Foto: REUTERS)

Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke forderte in der größten Krise seit Jahren, jeden Stein umzudrehen. Nun sitzt Dortmund vor einem Haufen umgedrehter Steine. Wer auch immer künftig die Mannschaft trainieren wird, ist nicht zu beneiden.

Kommentar von Martin Schneider

Es lief die 72. Minute, als der BVB sich ausnahmsweise mal nicht selbst im Weg stand. Der BVB saß sich selbst im Weg. Dortmund hatte gegen Werder Bremen gerade das 1:2 kassiert, da kam Shinji Kagawa nach einer Kopfballablage zum Schuss, die Entfernung zum Tor betrug vier Meter. Kagawa schoss, doch der Ball wurde abgewehrt - von Pierre-Emerick Aubameyang, der es irgendwie geschafft hatte, auszurutschen und sich vor Kagawa zu setzen. Der schoss Aubameyang gegen den Rücken, der Ball flog über das Tor. Später sagte ein wütend-verzweifelter Marcel Schmelzer, es sei ja nicht der Trainer, der den eigenen Mann anschieße. Das stimmt. Das Problem, dass Dortmund sich selbst im Weg steht, ist aber durchaus eine Sache des Trainers.

Denn so symbolhaft diese Szene war, so wenig entscheidend war sie doch, wenn man das große Ganze betrachtet. Bremen war vor dem Spiel Tabellensiebzehnter, sie verloren während der Partie Stürmer Fin Bartels, der sich wahrscheinlich die Achillessehne riss und mit Zlatko Junuzovic ihren vielleicht wichtigsten Mittelfeldspieler - und trotzdem hatte Werder keine Probleme, nach dem Dortmunder 1:1 und den einzigen zehn starken BVB-Minuten des Tages noch das 2:1 zu schießen. Wenn sie einen ihrer vielen Konter nur ein bisschen besser ausgespielt hätten, dann wäre eine höhere Niederlage verdient gewesen. Zur Erinnerung: Dortmund hatte bis vor Kurzem zweieinhalb Jahre lang kein Bundesligaspiel zu Hause verloren. Nun kommt der Vorletzte vorbei und hat nicht einmal große Schwierigkeiten.

Vor dem Spiel gegen Bremen legte der BVB seine Hoffnung ja schon in eine Sitzung. Nach dem epischen Zusammenbruch beim 4:4 nach 4:0 gegen Schalke in der zweiten Halbzeit gab es eine Aussprache. "Es wurden einige Sachen deutlich angesprochen, es hat sich einiges geändert. Ich weiß nicht, ob wir ohne diese Sitzung nach dem 0:2 zurückgekommen wären", sagte etwa Nuri Sahin und meinte damit, dass man bei Real Madrid ja aus einem 0:2 noch ein 2:2 gemacht hätte. Gut, für Real ging es um nichts mehr und verloren hat der BVB das Spiel dann auch noch mit 2:3. Aber sie haben in Dortmund ja über Wochen tapfer versucht, die ein, zwei positiven Details pro Spiel irgendwie noch zu finden. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke meinte auf der Mitgliederversammlung, man habe ja nur drei Punkte weniger, als zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr. Das geht nicht mehr. Die Niederlage gegen Bremen liefert keinen einzigen Ansatzpunkt, um nach einer Ausrede zu suchen.

Was tun? Jeden Stein noch mal umdrehen?

Man kann den Dortmunder Umgang mit diesem Absturz in drei Phasen einteilen: Verleugnung, Verhandlung und Verzweiflung. In der Anfangsphase, es ging mit dem sehr schmeichelhaften Sieg in Augsburg los, war das Wort "Krise" verboten, es hieß: Wir sind Tabellenführer, da kann man nicht in der Krise sein. Bei den ersten Niederlagen sprach Kapitän Marcel Schmelzer von einer "schwierigen sportlichen Situation". Dann verhandelte der Klub über das 4-3-3-System von Trainer Peter Bosz, es sei zu offensiv, zu risikofreudig, außerdem seien die Spieler nicht fit, hieß es. Das mit der Fitness widerlegten die Lauf-und-Sprint-Daten dann schnell. Peter Bosz änderte das System. Watzke verlangte, jeden Stein umzudrehen. Das tat der BVB und hat jetzt einen Haufen umgedrehter Steine. Und nun? Nochmal umdrehen?

Stark reden, Dreierkette, Viererkette, eine ziemlich absurde Torwartdiskussion um Roman Bürki, Aubameyang wegen seiner Extravaganzen maßregeln, Neven Subotic reaktivieren, eine offene Aussprache führen - all das hat Borussia Dortmund versucht. Nun ist der Erste-Hilfe-Koffer leer und der Patient ist immer noch krank. Der BVB hat schon bei Ottmar Hitzfeld und Matthias Sammer angefragt - und sich Absagen abgeholt. Offiziell hieß es, man wolle den "Turnaround" (Sportdirektor Michael Zorc) mit Peter Bosz schaffen. Jedenfalls vor dem Bremen-Spiel.

Kapitän Marcel Schmelzer gab sich nach der Niederlage zwar alle Mühe, die Schuld bei der Mannschaft zu suchen, nannte die Leistung eine "Frechheit". Aber selbst, wenn man ihm diese Interpretation der Dinge glauben will - noch nie in der Geschichte des Fußballs konnte ein Verein den Trainer behalten und die Mannschaft austauschen. Auch wenn man es derzeit niemandem wünschen will, diese bar jeder Struktur über den Rasen wandelnde Mannschaft zu trainieren.

Wer auch immer dies nun bis auf Weiteres tun wird - er muss es irgendwie schaffen, die groteske Verunsicherung zu beseitigen. Vielleicht wirkt der Anschlag auf den Bus noch nach, vielleicht die Schlammschlacht bei der Trennung vom erfolgreichen aber umstrittenen Trainer Thomas Tuchel, vielleicht ist es auch eine dieser sich selbst verstärkenden Negativspiralen, in die der BVB vor drei Jahren schon einmal geriet (da war der Klub am 18. Spieltag Tabellenletzter). Vielleicht ist es auch eine Kombination aus allem. Vor drei Jahren entschied sich der BVB übrigens, in der Negativspirale am Trainer festzuhalten. Aber der Trainer hieß damals auch Jürgen Klopp.

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