Kommentar:Das Recht der Opfer

Der jüngste Streit rund um den Dopingopfer-Hilfeverein hat mal wieder vieles zerstört. Die Beteiligten sollten dies zum Anlass nehmen, sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren: wichtige Veränderungen für die Zukunft.

Von Johannes Aumüller

Mehr als fünf Jahre stand Ines Geipel an der Spitze des Doping-Opfer-Hilfevereins (DOH), nun zieht sich die frühere DDR-Leichtathletin zurück. Sie empfinde es als "unwürdig", was zuletzt rund um den Verein passiert sei, der harte Streit, die persönlichen Anschuldigungen - und das, wo der DOH doch eigentlich nur ein wichtiges Ziel hat: den vielen Opfern des DDR-Staatsdopingsystems zu helfen.

Es ist auch deswegen ein so unfassbarer Streit gewesen, weil er sich um ein so unfassbares Thema dreht. In der deutschen Sportgeschichte gab es wohl kein dunkleres Kapitel als den Staatsplan 14.25, ein kriminelles System, das Politiker, Mediziner und Funktionäre in der DDR ausheckten und praktizierten. Mehr als 10 000 Leistungssportler erhielten Dopingmittel, darunter viele Minderjährige, die nicht wussten, was in den angeblichen Vitaminpillen steckte. Und Aufklärung über die immensen gesundheitlichen Risiken gab es schon gar nicht. Viele der damaligen Athleten leiden heute an schrecklichen Krankheiten, an Tumoren, an Herz- oder auch an psychischen Problemen, und es gab auch erwiesenermaßen Todesfälle, die auf den Gebrauch der Mittel zurückgingen.

Es gehört zu den unbestrittenen Verdiensten dieses ehrenamtlich geführten DOH-Vereins, dass er sich um diese Opfer kümmert und ihnen mehr Aufmerksamkeit verschafft hat - insbesondere in den vergangenen fünf Jahren mit Geipel an der Spitze. Erst vor Kurzem ist die Frist verlängert worden, innerhalb derer damalige Sportler beim Bundesverwaltungsamt Anträge stellen und 10 500 Euro Entschädigung erhalten können. Zudem wurde der Fonds auf insgesamt 13,6 Millionen Euro aufgestockt. Viel mehr Sportler als früher trauen sich jetzt, über ihre Vergangenheit im DDR-System zu sprechen.

Aber es gab in den vergangenen Monaten eben auch diesen sehr heftigen Streit rund um den DOH, zwischen Geipel und einigen Unterstützern sowie verschiedenen ehemaligen Mitgliedern. Es ging dabei einerseits um einen durchaus interessanten inhaltlichen Strang, nämlich um die Frage, wer eigentlich als "Dopingopfer" zu gelten habe. Ob zum Beispiel auch derjenige, der zu DDR-Zeiten als Erwachsener wissentlich dopte, zu den Opfern zu zählen sei - oder nicht eher zu den Tätern, weil er bewusst Sportkonkurrenten betrog. Oder vielleicht zu beidem.

Aber vor allem gab es sehr hässliche persönliche Auseinandersetzungen. Die erfolgten zwar in einer bisher nicht bekannten Intensität, aber grundsätzlich nicht zum ersten Mal rund um den DOH. Und das wirkt durchaus paradox: Es gibt nur eine überschaubare Zahl von Menschen, die sich um das Opfer-Thema und die Opfer kümmern, und es sind viele Widerstände in der Politik und noch mehr im Sport zu überwinden. Doch anstatt an einem Strang zu ziehen, gibt es innerhalb dieser Gruppe oft Streit. Vielleicht ist das auch zwangsläufig der Fall, wenn es um ein so emotionales Thema und so viel persönliche Betroffenheit geht.

Viel hat dieser Streit um den DOH kaputt gemacht, wünschenswert wäre, wenn er wenigstens etwas Gutes hätte: dass es zu Veränderungen kommt. Geipel moniert zu Recht die Konstellation, dass Betroffene oft Betroffene betreuen. Ob der Dramatik dieses Themas bräuchte es andere, professionellere Strukturen. Die Politik ist hier gefordert, das umzusetzen. Die Opfer dieses schrecklichen DDR-Verbrechens, sie haben es verdient.

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