Ski-WM:Der Skizirkus verliert seine Kinder

FIS World Ski Championships - Men's Giant Slalom

Felix Neureuther bei der WM in St. Moritz beim Riesenslalom.

(Foto: Getty Images)

Auch durch den Klimawandel wird die Ausbildung zum Skirennenfahrer immer teurer. Dagegen ist für den Deutschen Skiverband die Bilanz bei der WM in St. Moritz mit null Medaillen ein eher kleines Problem.

Kommentar von Johannes Knuth

Jipeeeeeh, jodelaheey, die Tage des Wartens sind vorbei! Der Himmel hat bei der Ski-WM in St. Moritz wieder Glück und Gold auf die Schweiz regnen lassen, nach manch medaillenarmer Titelmesse zuvor. Gold und Silber für Wendy Holdener und Michelle Gisin, Gold und Bronze für Luca Aerni und Mauro Caviezel, jeweils in der Kombi, Bronze für Lara Gut im Super-G, Gold für Beat Feuz in der Abfahrt.

Sechs Medaillen, Platz eins in der Nationenwertung vor dem finalen Wochenende. "Heute feiern wir die goldenen Tage von St. Moritz", jubelte der Blick, "wir sind wieder eine Skination!" Holdener kann im Slalom am Samstag ja noch einmal Gold gewinnen, Feuz, der Goldblitz, versprach: "Ich will im kommenden Olympia-Winter noch mal richtig goldgreifen." Sogar das Frühstücksmüsli und die Makkaroni schimmern in St. Moritz seit Tagen irgendwie golden. Blech und Pech, das haben diesmal die anderen.

Die Deutschen zum Beispiel.

Der Deutsche Skiverband war mit einer diffusen Stimmung in die WM gezogen, mit einer Kann-gutgehen-vielleicht-aber-auch-nicht-Laune. So wie vor der WM 2015, als sich Viktoria Rebensburg, Fritz Dopfer und Felix Neureuther aufs Podest drängelten, obwohl sie zuvor durch Tiefs gewatet waren. Auch diesmal hatten sie im DSV eine Lerngruppe zusammengezogen, die vor der größten Klausur des Winters nicht den ganzen Prüfungsstoff durchgenommen hatte, wegen Verletzungen und Materialproblemen. Aber für Bestnoten waren sie noch immer gut, mit etwas Glück - drei Medaillen sollten es sein. Nur dass es diesmal nicht klappte, mit Lernen auf Lücke. Der angeschlagene Felix Neureuther und Stefan Luitz bemühten sich am Freitag im Riesenslalom erfolglos um die erste deutsche Medaille. Bleibt noch der Slalom am Sonntag, für die Männer.

Aber so wie bei den vergangenen Weltmeisterschaften nicht alles prächtig war, war diesmal nicht alles schlecht, bei den deutschen Abfahrern etwa. Medaillen sind nun mal ein ungenauer Maßstab in einem Sport, in dem die Fahrer derart viele Kompromisse mit Natur und Schwerkraft eingehen.

Ein Kind, das Skiprofi werden will, kostet eine Familie rund 10 000 Euro - pro Winter

Das größte Problem der deutschen Skirennfahrer sind in diesen Tagen weniger die vierten Plätze in St. Moritz, die vielleicht dritte hätten sein können. Wer verstehen will, warum der Wintersport derzeit eher weniger denn mehr Führungskräfte hervorbringt, nach den erfolgreichen Seizinger-Ertl-Gerg-Riesch-Jahren, muss die Gästelisten der kleineren Leistungsmessen studieren.

Elf Frauen wirkten 2016 an den deutschen Abfahrtsmeisterschaften mit, in den Siebzigerjahren waren es sechs, sieben Mal so viele. Das Habitat der Wintersportler schrumpft oder ist längst geschmolzen. Der Klimawandel könnte bis 2100 bis zu 70 Prozent der Alpen vom Schnee befreien, haben Schweizer Wissenschaftler zuletzt herausgefunden. Das trifft schon jetzt viele Nachwuchsrennen, der Graben zur Weltspitze reißt mit jedem Winter ein wenig mehr auf.

Familien, die ihre Kinder für eine Karriere im Alpinen schulen wollen, müssen in Deutschland rund 10 000 Euro zusammenkratzen. Pro Winter. "Zu unserer großen Zeit", in den Achtziger-und Neunzigerjahren, hat der ehemalige Schweizer Skirennfahrer Fritz Züger in einem Interview vorgerechnet, "stammten 80 Prozent der Athleten aus Handwerker-Familien". Die können sich den Sport immer seltener leisten, und so gehen viele Talente verloren, auf den immer längeren Wegen in den Schnee.

Sie jubeln noch, jipeeeh, jodelaheey, aber sie fahren am Tag darauf immer seltener Ski. In Deutschland, und so langsam auch in den Skinationen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: