Kommentar:Autokraten in der Königsklasse

Die Verbandelungen des neuen türkischen Fußballchampions Istanbul Basaksehir FK mit der Staatsführung sind beachtlich - der Klubpräsident ist sogar verheiratet mit einer Nichte von Erdoğans Frau.

Von Johannes Aumüller

Wenn es um die Vergabe der türkischen Meisterschaft ging, war die Abwechslung traditionell eher gering. In den ersten sechs Dekaden seit der Gründung der Süper Lig 1959 gab es nur wenige Titelträger. Einer der vier Großklubs Galatasaray (22), Fenerbahce (19), Besiktas (13) und Trabzonspor (6) lag fast immer vorne - nur 2010 verirrte sich mal Bursaspor auf Tabellenplatz eins.

Seit Sonntagabend aber gibt es einen neuen türkischen Meisterklub. Sein Name: Istanbul Basaksehir FK. Dass er diesen Titel errang, hat viel mit seinem prominentesten, mächtigsten Fan zu tun: Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan.

Basaksehir ist ein ziemliches Kunstprodukt. Erst seit 1990 existiert der Verein, zunächst als eine Art Betriebssportgruppe der Istanbuler Stadtverwaltung, später als ausgegliederter Profiklub, der in einem Randbezirk der Metropole beheimatet ist. Viele Fans hat der Verein nicht. Aber über die Jahre stieg er zu einer gewichtigen Nummer auf. Es kamen Spieler wie der Brasilianer Robinho oder der frühere Bundesliga-Stürmer Demba Ba. Es gab Podiumsplätze in der Liga, in der Europa League dieser Saison gelang die Qualifikation fürs Finalturnier - und nun also die vorläufige Krönung.

Dabei sind die Verbandelungen des neuen Fußballchampions mit der Staatsführung beachtlich. Der Klubpräsident ist verheiratet mit einer Nichte von Erdoğans Frau. Der Chef des Hauptsponsors sitzt als Gesundheitsminister in der türkischen Regierung. Auf dem Trainingsgelände war schon mal Erdoğans Wahl-Losung angebracht - und es sind auch Szenen überliefert, wie nach einem Sieg die Spieler in der Kabine nicht etwa sich selbst feierten, sondern den gleichfalls anwesenden Staatspräsidenten.

Es ist natürlich keine neue Erkenntnis, dass der Sport Teil von Erdoğans Regierungsstil ist. Der Fußball ist in der Türkei traditionell sehr politisiert. Aber das ist auch kein Alleinstellungsmerkmal. Viele autokratische - aber ebenso demokratische - Politiker pflegen die Fußball-Bühne zu nutzen. Doch bisweilen verdichten sich derartige Entwicklungen zu besonders irritierenden Konstellationen.

Durch den Meistertitel steht Basaksehir nun auch erstmals in der Gruppenphase der Champions League, und so viel Autokratie war in der Königsklasse noch selten. Zum 32er-Feld werden gehören: der Klub, hinter dem die Herrscherfamilie von Abu Dhabi steht (Manchester City); der Klub, hinter dem das Emirat Katar steht (Paris Saint-Germain); der Lieblingsklub von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin, bei dem der staatlich kontrollierte Gazprom-Konzern die Mehrheit hält (Zenit Sankt Petersburg); und nun auch noch der Verein, der so eng mit Erdoğan verbunden ist.

Als vor einem Jahrzehnt Bursaspor so überraschend den türkischen Titel gewann, blieb das ein Ausrutscher. Inzwischen ist der Verein sogar in die zweite Liga abgestiegen. Eine ähnliche Entwicklung dürfte Basaksehir nicht drohen - zumindest nicht, solange der Präsident des Landes Recep Tayyip Erdoğan heißt.

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