Kommentar:Aussitzen, weitermachen

Die politischen Kabalen der jüngsten Zeit - unter diskreter russischer Mitregie - nähren den Verdacht, dass die Ära des Affären-Funktionärs Infantino die des Vorgängers Blatter schon bald verklären wird - als romantisches Gaunerstück.

Von Thomas Kistner

Es gibt eine alarmierende Entwicklung unter russischen Fußballfans. Unabhängige Organisationen wie Football Against Racism in Europe, ein Netzwerk von Fangruppen aus 13 Ländern, melden für die vergangene Saison 92 diskriminierende Vorfälle in und um Russlands Stadien. In den beiden Spielzeiten zuvor wurden zusammengerechnet (nur) 83 bekannt, der Anstieg ist dramatisch - und rückt die WM 2018 in den Fokus. Als wäre Russlands Staatsdoping nicht schon Problem genug, kommt nun noch eines, das der Lösung harrt: Rassismus. Am Wochenende aber wurde Sportminister Witali Mutko, der auch im Vorstand des Weltverbands Fifa sitzt, im Amt als russischer Fußballboss bestätigt. Das beschreibt die russische Strategie erschöpfend: War was? Weiter so!

Wie will das Land, wie will die Fifa die Probleme meistern? Ganz einfach: indem sie ignoriert werden. Aussitzen, weitermachen - das hat im russischen Sport dieselbe Tradition wie im Welt-Fußball. Dass ein Expertenbericht zum Staatsdoping jüngst elf vertuschte Fußball-Fälle auflistete und Mutko sogar persönlich belastete, mag die Sportwelt aufwühlen. Gianni Infantino lässt es kalt. Auf der Basis urteile er nicht, sagte der Fifa-Boss - und attestierte dem Sportsfreund Mutko eine "sehr gute Zusammenarbeit" im WM-2018-Kontext.

Nicht nur hier herrscht strenger Korpsgeist: Gerade hat das Duo Infantino/Mutko die Zukunft der Europa-Union Uefa aufgestellt - indem es einen gewissen Aleksander Ceferin aus dem Nichts ins zweithöchste Amt der Fußballwelt katapultiert hat. Der Slowene, so ein Zufall, darf demnächst auch das Fifa-WM-2018-Organisationskomitee leiten.

Nun das leidige Thema Rassismus. Am Rande der Mutko-Wahl wurde Alexander Schprygin auf dem Herrenklo des Tagungshotels verhaftet! Der Rechtsnationalist gilt als Drahtzieher der Fan-Randalen bei der EM in Frankreich. Wer behauptet da, die Russen täten nichts gegen Rassismus im Fußball? Nun, die Frage ist, wo Schprygin und seine Kumpane 2018 sein werden. Und während dieser Akt groß inszeniert wurde, löste die Fifa gerade klammheimlich ihre Antirassismus-Taskforce auf. Publiziert wurde das nicht, selbst die Mitglieder erhielten nur ein paar dürre Zeilen. Dass die Fifa, ausgerechnet in Hinblick auf 2018, ihre Rassismus-Taskforce absetzt, sagt viel über die Prioritäten. Vermutlich müssen dann vor der WM 2022 Menschen- und Arbeitsrechtler aus Katar verschwinden.

Die Fifa ist unverbesserlich, schon seit Jahrzehnten. Die politischen Kabalen der jüngsten Zeit aber - unter diskreter russischer Mitregie - nähren den Verdacht, dass die Ära des Affären-Funktionärs Infantino die des Vorgängers Sepp Blatter schon bald verklären wird: Als ein eher romantisches Gaunerstück.

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