Schiedsrichterin im Fußball:Englands Fußball hinkt hinterher

Schiedsrichterin Rebecca Welch

Pionierin im Königreich: Rebecca Welch, hauptberuflich Schiedsrichterin, darf als erste Frau in England eine Partie im Profi-Fußball der Männer von Beginn an leiten

(Foto: Adam Davy/dpa)

Auf der Insel ist erstmals eine Schiedsrichterin für ein Profispiel der Männer nominiert worden - in Liga vier. Das Mutterland des Fußballs muss auf die Tube drücken.

Kommentar von Barbara Klimke

Spektakel hat Englands Männerfußball auch am Osterwochenende zu bieten, etwa wenn Arsenal, derzeit Neunter, in London den entthronten Meister FC Liverpool empfängt. Doch zum eigentlichen Match, das "Geschichte schreibt", wie die Times verkündet, ist eine Landpartie vonnöten. Raus aus der Metropole, vier Stunden die M1 nach Norden, Richtung Yorkshire Dales, wo am Rand von Tälern und Hügelketten der alte Kurort Harrogate liegt. Der dortige Fußballklub, Harrogate Town, residiert an der Wetherby Road in einem Stadion mit 3800 Plätzen. Am Ostermontag empfängt er den FC Port Vale aus Stoke-on-Trent zum epochalen Kick in der League Two, Englands vierthöchste Spielklasse.

Für Außergewöhnliches sorgt indes nicht das kleine Stadion des Aufsteigers Harrogate, obwohl dort seit dieser Saison eine gepflegte Grasnarbe den alten Kunstrasen ersetzt. Der Grund, weshalb sich die Kameras des Königreichs auf diesen Provinzkick richten, ist Rebecca Welch, 37: Als erste Schiedsrichterin wird sie von Beginn an eine Partie im englischen Profifußball der Männer leiten.

Premiere im Jahr 2021, in Liga vier. In Britannien war der Umgang mit Zeitdimensionen schon immer kreativ, nicht selten hat das Inselreich einen Maßstab gesetzt. Mitunter ist das Tempo rasanter als andernorts, was sich - um ein aktuelles Beispiel zu nennen - anhand des Corona-Impfens belegen ließe. Schon König Edward VII. hat auf schrullige Weise vorgeführt, wie man auf die Tube drückt: Er ließ 1901 die Zeiger aller Uhren auf den königlichen Schlössern eine halbe Stunde vorstellen, angeblich um sich mithilfe der "Sandringham Time" Vorteile bei der Jagd zu verschaffen. Bekanntlich waren die Engländer auch bei der Gründung ihres Fußballverbands 1863 allen anderen einen Schritt voraus. Umso bemerkenswerter, dass das Mutterland des Fußballs bislang in der Entwicklung des Schiedsrichterwesens die Revolution verschlafen hat.

Eine Linienrichterin ist feste Größe in der Premier League

Während Rebecca Welch in Yorkshire erst auf ihre neue Vorbildfunktion hinweisen muss ("Mädchen, die Spiele pfeifen wollen, haben eine Chance ..."), ist hierzulande die Rasenepoche der Vorzeigefrau Bibiana Steinhaus schon wieder vorbei. Die viermalige Weltschiedsrichterin, die bereits 2007 ihren Einstand in der 2. Männer-Liga gab, setzt ihre Urteilskraft heute nur noch im Kölner Videokeller ein.

Dafür beweisen nun andere Schiedsrichterinnen, dass sie zur Weltspitze ihres Metiers gehören: Vorigen Samstag hat die Französin Stephanie Frappart, 37, als erste Frau ein WM-Qualifikationsspiel der Männer geleitet, ein 2:0 der Niederlande gegen Lettland. Tags darauf zog die Ukrainerin Kateryna Monsul, 39, in der Partie Österreich gegen Färöer (3:1) nach. Ihr Einsatz sei "Anerkennung für die gute Arbeit", die sie geleistet hatten, erklärte Pierluigi Collina, Chef der Fifa-Schiedsrichterkommission so lapidar, wie es sich für ein normales Procedere gehört. Im Dezember hatte Frappart bereits in der Champions League beim 3:0 von Juventus Turin gegen Kiew auf dem Platz gestanden. Monsul pfiff im November erstmals mit einem reinen Frauen-Team ein Männer-Länderspiel: San Marino gegen Gibraltar (0:0). Von reinen Feldversuchen kann man da kaum noch sprechen, eher handelt es sich um punktuelle Annäherung an eine Selbstverständlichkeit.

Auch England hatte schon anno 2000 einen Anfang gewagt mit Wendy Toms als Schiedsrichterin bei unterklassigen Männer-Spielen. 2010 hatte Amy Fearn einen Kurzeinsatz in der zweiten Liga, nachdem ihr männlicher Kollege nach 71 Minuten mit Verletzung vom Platz musste. In der Premier League ist Sian Massey-Ellis immerhin seit Jahren als Linienrichterin eine feste Größe. Dem Deutschen Fußball-Bund stehen 75 Schiedsrichterinnen für die Frauen-Bundesligen zur Verfügung, vier Schiedsrichterinnen und sechs Assistentinnen werden aktuell auf der Fifa-Liste geführt, in diesem Jahr kam Franziska Wildfeuer hinzu.

Für die Premiere League hat die tapfere Rebecca Welch nun die Prognose ausgegeben, dass es noch zehn bis 15 Jahre dauern könne, bis die Männer nach der Pfeife einer Frau tanzen. Sie sollten sich dort Edward VII. zum Vorbild nehmen: Dringend die Uhren vorstellen!

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