Ski alpin:Gruselig vertraute Bilder

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Saisonende im Rettungshubschrauber: Für US-Profi Tommy Ford ist die Wintersaison nach einem schweren Sturz in Adelboden vorbei. (Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

Die schweren Stürze bei den Ski-Rennen am Wochenende sind Symptom eines bekannten Problems: Das Material ist zwar schnell, verzeiht aber keine Fehler.

Kommentar von Johannes Knuth

Ein Begriff, der zuletzt oft herangezerrt wurde, um die Sturz- und Verletzungsmisere im alpinen Weltcup zu beschreiben, war das "Radl". Das Radl, hatte Markus Waldner, der Rennchef des Ski-Weltverbandes Fis, schon im vorherigen Winter gesagt, "ist überdreht". Man kann das Ganze natürlich auch so sehen: Die Debatte dreht sich im Kreis.

Die Bilder des vergangenen Wochenendes belegten dies, auf gruselige und gruselig vertraute Art. Die Schweizerin Juliana Suter stürzte auf der Abfahrt in St. Anton, Kreuzbandriss, Saison vorbei. Gleiches galt für die Ausnahmekönner Lucas Braathen und Atle Lie McGrath, die jungen Norweger, die beim Riesenslalom in Adelboden Knieverletzungen erlitten. Im zweiten Riesentorlauf am Tag darauf überschlug sich der Amerikaner Tommy Ford im Zielhang, er prallte mit dem Kopf auf die harte Piste, blieb regungslos liegen, wurde lange am Unfallort behandelt. Die erste Diagnose des US-Verbandes widerlegte die schlimmsten Befürchtungen, Ford habe leichte Verletzungen an Kopf und Nacken erlitten, hieß es, zudem eine Knieverletzung. Und jetzt?

Dreht sich das Radl weiter. Der Norweger Henrik Kristoffersen bemängelte eine "komplett kopflose" und potenziell "lebensgefährliche" Kurssetzung im Schlusshang, die Ford zum Verhängnis geworden sei; allerdings war der 26-Jährige mit dieser Anamnese zunächst recht allein. Unbestritten ist, dass sie in Adelboden - mit einigem Stolz - eine der längsten und schwersten Riesenslalomstrecken im Weltcup bereitstellen, der berüchtigte Schlusshang fällt mit 60 Prozent Neigung ab. "Du bist da schon müde, aber du musst weiter pushen", sagte der Kroate Filip Zubcic jetzt, Zweiter in beiden Riesenslaloms am Wochenende. Alexis Pinturault, der beide Torläufe gewann, erklärte, dass der ohnehin pralle Kalender in diesem Januar noch praller sei, da viele Rennen an weniger Orten stattfinden, der Pandemie wegen. Viele Fahrer seien derzeit einfach müde. Und wenn das Radl ohnehin überdreht ist...

Die Fahrer könnten ihre Ski weniger aggressiv präparieren - aber das tut niemand, zumindest nicht freiwillig

Letztlich fallen ja auch die jüngsten Vorfälle in ein größeres Mosaik: Und das zeigt einen Sport, der von jeher auf der Kante unterwegs ist und einen Punkt erreicht hat, "an dem das Material den Körper allmählich überholt", wie der ehemalige Alpinprofi und TV-Experte Marco Büchel im vorherigen Winter im SZ-Interview sagte.

Moderne Rennski sind schwer, die Pisten sind hart, der Chancengleichheit wegen. Die Athleten stimmen Bindung, Platte und Schuhe also so ab, dass sie ihre Skier leichter steuern können, wie ein Rennauto, das beim kleinsten Befehl in die Kurve rauscht. Nur: Verliert ein Fahrer kurz die Kontrolle, was auf schweren Hängen umso schneller passiert, läuft der Ski wie auf einer Schiene in die eine Richtung - und der Körper in die andere, vor allem auf dem griffigen Kunstschnee wie jetzt in Adelboden. Experten wie Büchel, der die Fis auch in einer Sicherheits-Kommission berät, tüfteln seit einer Weile an Gegengiften, an Kurssetzungen etwa, die das Tempo drosseln - allzu gewaltige Auswirkungen hat das aber meist nicht.

Wirklich eindämmen ließe sich das Problem wohl nur mit unhandlichen Ansätzen: Entweder man greift zu uralten Skiern, die sich nicht auf der Kante fahren lassen - aber so leicht lässt sich das Radl dann doch nicht zurückdrehen in einer Industrie, die ihre frischen Modelle Jahr für Jahr wie neue Rennautos präsentiert. Oder die Fahrer präparieren Skier, die Fahrfehler verzeihen, aber das wagt niemand, zumindest nicht freiwillig: weil es langsamer wäre.

So ließen sich in Adelboden auch die bekannten Wortmeldungen vernehmen: "Unser Sport ist nun mal hart und riskant", sagte Alexis Pinturault; es war eine Botschaft, die umso präsenter ist, da jetzt nach und nach die schweren Klassiker anstehen. Und zu deren Geschäftsmodell gehörte es schon immer, dass nicht jeder Fahrer das Ziel erreicht.

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