Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Agnellis Spagat

Die Sperre des Juventus-Präsidenten hat eher demonstrativen Charakter. Sie ist nicht die Lösung, um die Macht der Fan-Kurven zu brechen.

Ein Kommentar von Birgit Schönau

Andrea Agnelli hat mit der Mafia nichts zu schaffen. Das ist der zentrale Punkt im Urteil des Verbandsgerichts vom Montag gegen den Präsidenten von Juventus Turin und Vorsitzenden der europäischen Klubvertretung ECA.

Dass Agnelli überhaupt dieser Ungeheuerlichkeit verdächtigt wurde, ist dem Verbandsankläger Giuseppe Pecoraro zuzuschreiben. Dieser pensionierte Polizist nutzte das Verfahren gegen den Erben der berühmtesten italienischen Industriellenfamilie allzu offensichtlich, um sich selbst ins Rampenlicht zu rücken. Pecoraro konnte seine Vorwürfe nicht ansatzweise beweisen, er musste sie kleinlaut zurückziehen. Aber da war der Verdacht schon in der Welt, in den internationalen Medien. Allzu verführerisch war die Schlagzeile "Juve und Mafia". Der Imageschaden für den Klub und seinen Präsidenten ist erheblich.

Insofern wurde Agnelli, 41, bereits für ein Vergehen bestraft, das er nachweislich nicht begangen hat. Dagegen ist die einjährige Sperre, die er nun in erster Instanz kassierte, eher eine Bagatelle. Die Sperre wird damit begründet, dass das Klubmanagement - gegen drei weitere Funktionäre ergingen ähnliche Urteile - über Jahre Tickets offensichtlich en bloc und unter Preis an eine Fangruppe abgegeben hatte. Schon dies ist verboten, aber mit den Tickets wurde dann auch noch illegal Handel betrieben. Jene Gruppe war infiltriert von einem Mann der Mafia-Organisation 'Ndrangheta, aber davon, so die Richter, hätten Agnelli und die Juventus-Offiziellen nichts gewusst.

Agnelli darf nun ein Jahr lang nicht öffentlich als Präsident auftreten, es aber weiterhin bleiben. Er bleibt zudem als ECA-Vorsitzender im Amt, ebenso als Mitglied des Exekutivkomitees des europäischen Fußball-Verbandes (Uefa). Untersagt sind lediglich die Teilnahme an Sitzungen des italienischen Ligaverbandes sowie der Besuch in der Umkleidekabine vor und nach den Ligaspielen. Zusätzlich muss Agnelli persönlich ein Bußgeld von 20 000 Euro zahlen, auf den Klub kommt eine Buße von 300 000 Euro zu. Die Anklage hatte 30 Monate Sperre für den Präsidenten und zwei Heimspiele ohne Publikum gefordert.

Das wäre verrückt. Aber auch das auf den ersten Blick milde Urteil ist wenig sinnvoll. In der Profiliga lässt Agnelli sich schon jetzt häufig von seinem Geschäftsführer Giuseppe Moratta vertreten, seine Spieler sieht er ohnehin fast täglich. Schließlich, und das vor allem offenbart der Richterspruch, ist dieser Klubpatron in seinem Verein sehr präsent. Und genau das beschert ihm jetzt Probleme.

Enge Beziehungen zu den Fans

Der Vorstandschef eines börsennotierten Unternehmens mit 562 Millionen Euro Umsatz vollführt einen Spagat, der für die Konkurrenz undenkbar wäre. Dass die chinesischen Eigner von Inter Mailand oder des AC Mailand, die Scheichs von Katar bei Paris St. Germain oder Roman Abramowitsch beim FC Chelsea regelmäßig den Dialog mit Kurvengruppen suchen, kann man sich kaum vorstellen.

Im globalisierten Fußballzirkus ist der junge Agnelli eine Ausnahme. Er führt den Klub, der seiner Familie seit 94 Jahren gehört, wie ein modernes Unternehmen, aber mit familiärem Anstrich. Dazu gehören auch Beziehungen zu den Fans, die für Juventus immer mehr sind als zahlende Kunden. Begünstigen und damit den illegalen Tickethandel fördern sollte der Präsident sie indes nicht, das stellt das Urteil klar. Schon gar nicht, rügten die Richter, um sich damit Ruhe auf den Tribünen zu sichern.

Wie so oft in Italien werden Strafen ausgesprochen, anstatt nach Lösungen zu suchen. Tickets an so genannte Ultra-Gruppen abzugeben, ist im italienischen Fußball zwar verboten, aber weit verbreitet. Auch, weil sich einige Klubs nicht anders zu helfen wissen. In den Kurven sind zwar Mitglieder und V-Männer der Anti-Mafia-Einheit Digos präsent, doch von Kontrolle kann keine Rede sein. An Agnelli, der gegen das Urteil in Berufung geht, wird ein Exempel statuiert. Das Problem aber besteht weiter.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2017
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