Fall Sergio Ramos:Der Kern des Übels liegt im System

Real Madrid v AC Milan - Pre-Season Friendly

Im Zentrum der aktuellen Doping-Aufregung: Sergio Ramos.

(Foto: Getty Images)

Ein Spitzenfußballer kann sich längst für einige Tausend Euro ein Rundum-Sorglos-Dopingpaket schnüren lassen. Der Fall Sergio Ramos zeigt: So wie jetzt kann es nicht weitergehen.

Kommentar von Thomas Kistner

Viel Aufregung mal wieder um das Thema Doping: Beim Champions-League-Finale 2017 hat der Teamarzt von Real Madrid statt des Entzündungshemmers Dexamethason, den er Sergio Ramos verabreicht hatte, Betamethason auf dem Formular vermerkt. Ein Skandal? Die beiden Cortisone unterscheiden sich, wie der Dopingexperte Fritz Sörgel sagt, nur durch minimale Strukturdifferenzen. Und: Beide sind erlaubt, wenn sie angemeldet werden. Dass also der Real-Doc nicht Dexa-, sondern Bethamethason schrieb, ist fraglos ein Fehler - aber sicherlich kein Dopingversuch. Auch nicht nach allen Regeln der Vernunft: Wer würde ein Mittel, das doch nur angemeldet werden muss, gezielt verschweigen, um dafür ein ähnliches Mittel anzugeben? Wer schafft sich selbst so überflüssige Probleme?

Dexamethason: Das Cortison wird ziemlich häufig gemeldet. Die Speerwurf-Weltmeisterin Chrstinia Obergföll erhielt es ebenso wie Diskus-Olympiasieger Robert Harting, bei den Rio-Spielen 2016. Zum Thema wurde das erst, als die Sachverhalte aus der Datenbank der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada von russischen Hackern abgegriffen und publiziert wurden. Die Hacker wollten damit das Bild eines heimlich legitimierten Dopings für westliche Athleten kreieren - als Gegenbild zu den damals gerade international geächteten Staatsdopern des Kreml. Der Unterschied ist aber nun mal: Dexamethason-Gaben sind regelkonform möglich. Das muss man jetzt auch im Fall Sergio Ramos bedenken.

Allerdings wird dem Real-Kapitän eine weitere Unregelmäßigkeit vorgeworfen: Nach einem Ligaspiel habe er erst geduscht, anstatt gleich die angeforderte Probe abzugeben. Dabei blieb er im Sichtbereich des Kontrolleurs, der den Kicker, wie er beteuert, auf Konsequenzen hingewiesen habe - die es am Ende nicht gab.

Der Real-Kapitän gibt an, er sei mit dem geleakten Material kürzlich noch erpresst worden

Das alles zeigt zweierlei: Erstens ist das Problem nicht der Athlet, der Anweisungen ignoriert (was Ramos bestreitet) - sondern ein Anti-Doping-Apparat, der nicht strikt nach den Regeln bestraft. Zweitens wäre so ein Aufschrei wie der aktuelle - gerade im Fußball - dort besonders wünschenswert, wo es deutlich weiterreichende Vorfälle gibt. Auch hierzulande, auch auf höchster Ebene.

Da war jene Sommermärchen-Filmszene von der WM 2006, als ein deutscher Stürmer den Kontrolleur vor der Klotür stehen ließ: Weil er nicht pinkeln könne, wenn einer zusieht. Da war auch jener Starkicker, den sein Klub auf dem Weg zum Training über einen Überraschungstest auf dem Vereinsgelände informierte. Dem Spieler fiel plötzlich seine Erkältung wieder ein, er kehrte um. Oder der deutsche Top-Profi, den der Kontrolleur beim Versuch eines Überraschungstests nicht mal per Handy orten konnte: Der Spieler war gerade in der Kirche. Sagte er später. Filmreif auch der Fall des Dopingkontrolleurs, der vor verschlossener Haustür stand, obwohl die Zielperson im Hause war. Ein - Achtung! - Akustik-Gutachten bescheinigte später, dass sich der Kicker zufällig in einem Winkel seines Domizils befunden hatte, wo die Türglocke nicht zu hören war.

Solche Dinge ereignen sich, wohlgemerkt, im Zuge echter, ernsthafter Tests - bei Überraschungskontrollen zu Hause oder auf dem Trainingsplatz. Im Fachjargon heißen solche Tests "intelligente Kontrollen". Dieser Begriff allein entlarvt, was die festgelegten Tests nach Punktspielen - und eben auch nach einem Champions-League-Finale - im Umkehrschluss sind: sinnfreie Rituale. Nebelkerzen für den gläubigen Teil des Fußballvolks. Wer sich bei so einer festgelegten Pipi-Übung am Spieltag schnappen lässt, gehört schon wegen Dummheit gesperrt.

Der Kern des Übels liegt nicht in laxen Formalien, er liegt im System

Moderne Fachdoper sind allen Analysemethoden weit voraus. Ein Spitzenfußballer kann sich für ein paar Tausend Euro ein Rundum-Sorglos-Dopingpaket schnüren lassen, das echte Leistungsschübe mit dem garantierten Schutz vor Entdeckung paart. So sieht es aus an der Dopingfront, deshalb kann überzogene Aufgeregtheit um Banalitäten beim Routinetest leicht den Blick auf die wahre Betrugsproblematik verstellen. Und beim Publikum der Eindruck entstehen, dass die Tests eigentlich ganz okay seien - und böse Buben nur von oben geschützt.

Der Kern des Übels liegt nicht in laxen Formalien, er liegt im System. Ein System, das echte Doper nicht auffliegen lassen kann - und auch nicht will. Denn das könnten ja die Helden sein, die für den Erfolg des Wirtschaftsbetriebs stehen. Warum sonst ersetzt der organisierte Fußball seine rituellen Tests nach dem Spiel nicht längst durch intelligente Zielkontrollen? Er müsste dann und dort testen, wo Doping Sinn ergibt. Nicht nach dem Spiel.

Eine Pikanterie bietet der aktuelle Wirbel um den Spieler von Real aber durchaus. Sergio Ramos hat dargelegt, er sei mit dem jetzt geleakten Material nur Wochen zuvor erpresst worden - er hätte die Publikation verhindern können. Das ist heftig. Ob er das beweisen kann? Dann müsste manches, was gerade im Fußball passiert, neu gedacht werden.

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