Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Tokio Hotel":Der Fressfeind im Supermarkt

"Scharfe Tintenfischbeine gegrillt und getrocknet": Seit Tagen bestaunt der Olympiareporter die faszinierende japanische Tiefseewelt. Heute werden mal ein paar Tüten davon verkostet.

Von Claudio Catuogno

Die 15 Minuten Auslauf heute wieder für einen Abstecher ins Aquarium genutzt. Nicht ins richtige natürlich, leider zählt das IOC nur die 100 Meter Schmetterling zu den olympischen Disziplinen, nicht die 100 Meter Tintenfisch. Und für alles, was nicht olympisch ist, gilt für den Olympiareporter ein strenges Besuchsverbot. Unten im Hotel hat allerdings der "Convenience Store" rund um die Uhr geöffnet, pandemiekompatible 15 Minuten am Tag darf man rein. Drei Gänge, alles was man braucht, und noch viel mehr.

Im mittleren Gang steht man oft und guckt einfach, wie vor den Scheiben im Sea Life, wenn dahinter der Teppichhai oder der Leopard-Drückerfisch ihre Bahnen ziehen. Was es nicht alles gibt in Japans Tiefseewelt! "Tintenfisch getrocknet", "Tintenfisch getrocknet mit Essig-Geschmack", "Weicher Tintenfisch geräuchert", "Scharfe Tintenfischbeine gegrillt und getrocknet", "Scharfer Tintenfisch gegrillt und getrocknet mit Sojasoßengeschmack", "Lachshautchips", "Gegrillter Scallop-Mantel". Aber, klar, nur gucken, nicht anfassen!

Schwer zu sagen, was heute den Sinneswandel herbeigeführt hat. Vielleicht die Wehmut der zweiten Olympiawoche: Wenn man von Japan schon nichts sieht außer Sporthallen - muss man dann nicht wenigstens was probieren? Also, liebe Leserinnen und Leser, es ist alles gekauft, Sie sind jetzt live dabei bei der SZ-Tintenfischverkostung. Beginnen wir mit dem "Dried Squid". Auf der Tüte bloß schemenhaft ein paar rote Striche, drinnen dann: lange, helle Streifen. Als würde man auf Holz beißen. Fischig, aber nicht aufdringlich. Bloß: sehr hart. Also weiter, "Soft Smoked Squid": viel faseriger diesmal, fast gelb, wie gehobelter Käse. Und weicher im Geschmack. Das Gute an den ersten zwei Tüten: Noch erkennt man das Tier nicht, auf dem man herumkaut.

Überraschung beim "Spicy Grilled and Dried Squid Soy Sauce": Da ist das ganze Tier in der Tüte

Anders wird das bei den "Spicy Grilled and Dried Squid Legs", da purzeln heuschreckenhaft drei Beine aus der Tüte. Und das Rote da, ist das der Chili ... (Reporter muss kurz schniefen)? Der "Dried Squid Vinegar Flavor" erinnert dann entfernt an Calamari vom Grill, inklusive des Gefühls, auf Gummi herumzukauen. Der Essig schmeckt leider nach Essig. Überraschung beim "Spicy Grilled and Dried Squid Soy Sauce": eine sehr flache Tüte. Aber dann ist das ganze Tier da drin, getrocknet und plattgedrückt. Ohne die Zähne des Teppichhais allerdings nicht zu zerlegen. Das geht zurück in die Verpackung. Sorry, Natur.

Die Lachshautchips: eine willkommene Abwechslung! Wunderbar knusprig, die sind gebucht für den nächsten Fußballabend. Und mit dem Scallop-Mantel ist es jetzt so eine Sache. Im Internet steht, ein auffälliges Merkmal der Kammmuscheln seien "ihre zahlreichen Augen am Mantelrand", mit deren Hilfe seien "viele Arten in der Lage, bei der Annäherung eines Fressfeindes der Gefahr zu entkommen". Augen wollte man nicht unbedingt essen. Aber es hilft nichts: Der Fressfeind öffnet die Tüte ... weit und breit keine Augen zu sehen! Und die kleinen Streifen sind köstlich, ein bisschen wie getrocknete Apfelschalen, nur mit Muschelaroma.

Zum Glück hängen im "Convenience Store" auch "Ingwer in Scheiben", "Getrocknete Japanische Teufelszunge" und "Gebratene Ginkosamen". Um den Fischgeschmack wieder loszuwerden. Und unbedingt die "Deep Fried Brown Sugar Snacks" mal probieren, schmeckt wie verbranntes Magenbrot auf der Wiesn!

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