Kolumne:Hinter der Ganzkörper-Desinfektionsmaschine

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Blick ins Tal während des Frauen-Slaloms am Samstag. (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Was passiert, wenn bei der Ski-WM 3000 Athleten, Betreuer, Mitarbeiter und Reporter auf 6000 Einwohner treffen - und sich möglichst nicht nahekommen sollten? Beeindruckend wenig.

Von Johannes Knuth

Als meine Kollegen und ich vor knapp zwei Wochen in Cortina d'Ampezzo eintrafen, wussten wir alle nicht so recht, was uns erwarten würde. Auch lange vor der Corona-Pandemie war uns bewusst, welche, nun ja, Herausforderung es sein würde, wenn ein derart verwinkelter Wintersportort die alpinen Ski-Weltmeisterschaften beherbergt. Cortina, das weiß man spätestens, wenn man sich einmal mit dem Sessellift zum Tofana-Schuss hinauf hat tragen lassen, führt völlig zurecht den Titel "Königin der Dolomiten" als Anrede im Briefkopf. Aber an manchen Stellen sieht der Ort halt immer noch so gemütlich aus, als wäre er zur Entstehungszeit von Roger Moores hiesigen Auftritten als James Bond eingefroren worden.

Und jetzt: Würden 3000 Athleten, Betreuer, Mitarbeiter, Reporter und Helfer zwei Wochen lang auf knapp 6000 Einwohner und noch mehr Tagestouristen treffen, die sich möglichst nicht nahekommen sollten. Das alles wurde von dem Umstand begleitet, dass die Ski-WM das erste Großereignis in Italien war, das von der Pandemie vor einem Jahr besonders hart getroffen wurde.

Nun ist es jetzt, knapp zwei Wochen später, vielleicht noch ein wenig zu früh für eine Bilanz, zumal es vor dem Wochenende zu vier Positivfällen und zuletzt offenbar zu zwei weiteren im Teamhotel der norwegischen und kroatischen Mannschaft kam. Aber dass diese WM auf jeden Fall im Chaos münden wird, kann man auch nicht gerade behaupten.

Die Organisation war wirklich beeindruckend, wobei den Ausrichtern dabei wohl auch der Umstand half, dass die meisten Zuschauer ausgesperrt waren, die sich ansonsten in Bussen die verwinkelte Zufahrt hinauf zur Tofana-Piste gestaut hätten. Das Wetter war so königlich, wie sie es in Cortina gewohnt sind. Das stellte die nötige Kulisse fürs Fernsehen bereit, und es lenkte auch ein wenig davon ab, dass es im Zielraum meist so zuging wie fast überall in diesen Tagen in der Sportwelt: ruhig, professionell, im Zeichen des Geschäfts, das die Förderströme von TV-Partnern und Sponsoren nicht versiegen lässt.

Und die Corona-Maßnahmen? Im Vorfeld mussten wir drei Tests vorzeigen, um überhaupt im Ort einchecken zu dürfen. Im Medienzentrum: Fieber-Temperaturmessen an der Pforte, ein zweites Mal in einer Kabine, in der man gleich noch ganzkörperdesinfiziert wurde. Wer im Zielraum seine Maske einmal nicht ganz über die sonnenverbrannte Nase gezogen hatte, wurde freundlich ermahnt. Doch inzwischen steht die Ganzkörper-Desinfektionsmaschine seit Tagen einsam im Eingangsbereich. Maskenpflicht und Abstand sind im Zielraum noch immer ein hohes Gut, im verwinkelten Ortskern derweil: Tagesgäste aus Rom und Venetien in den Bars und Restaurants, verkleidete Kinder mit Eltern beim Faschingsumzug; Bilder, die angesichts der Maßnahmen in Deutschland befremdlich wirken.

Andererseits: Corona-Cluster oder große Ausbrüche sind bis heute nicht aktenkundig, im WM-Tross ohnehin nicht, bei 20 000 Tests und einem halben Dutzend Positivfällen. Und mich hat in den vergangenen Tagen schon auch das Gefühl beschlichen, dass die strengen Maßnahmen in der Heimat ein Weg durch die Pandemie sein können - mehr Eigenverantwortung aber eben auch, zumindest, wenn sie von einem gewissenhaft orchestrierten Testprogramm begleitet wird.

Man muss es ja nicht ständig so weit treiben, wie es manche Restaurants zuletzt taten: Die Gaststätten dürfen hier derzeit bis 18 Uhr öffnen, offiziell zumindest. Inoffiziell kann jeder, der mag, einen "Vertrag" mit einem ausgewählten Restaurant abschließen. Er gilt somit als Geschäftspartner und darf als solcher auch nach 18 Uhr speisen. Dem Vernehmen nach wurde dieses Angebot in Cortina auch von dem einen oder anderen Gast angenommen, unter Beachtung aller Hygieneregeln und Abstandsgebote natürlich. Die Pizza soll sehr gut gewesen sein.

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