Kolumne "Dackel drauf":Gfreidi sagt Griaß di

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(Foto: Luis Murschetz)

Waldi, das Maskottchen der Spiele von München 1972, ist bis heute das Herzenszamperl der Stadt. Den European Championships ist auch ein Coup gelungen - aber mit Abzügen in der B-Note.

Von Holger Gertz

Wer einer Legende folgt, hat es immer schwer, der Beckenbauer-Nachfolger Berti Vogts weiß es, der Gottschalk-Nachfolger Markus Lanz weiß es, der Queen Elizabeth-Nachfolger wird es irgendwann wissen. Die Fußstapfen einer Legende sind so groß. Auch die Fußstapfen des Dackels Waldi, scheinbar flache Einbuchtungen im Treibsand des Alltäglichen, sind in Wahrheit regelrechte Krater der Erinnerung, denn Waldi ist noch immer das Herzenszamperl Münchens, einer Stadt, die auf den Hund gekommen ist. Gerade brachte Waldi, Wappentier der Olympischen Spiele '72, das Kunststück zustande, an der Plakatwand des Münchner Stadtmuseums auf drei verschiedenen Ankündigungspostern abgebildet zu sein, das hat nicht mal Karl Valentin geschafft, die Bavaria nicht und auch nicht der Pumuckl.

Waldi, eine Legende mit goldenem Herzen und dem Körper einer Knackwurst, thront zu Recht auch über dieser Kolumne, die sich in den kommenden Wochen den European Championships widmen wird. 50 Jahre nach Olympia ist wieder ein bisschen Olympia in der Stadt. Natürlich benötigen auch die European Championships ein Maskottchen, und die Veranstalter waren klug genug, keinen weiteren Hund aufzubieten. Wer der Legende folgt, muss anders sein als die Legende. Also wurde ein Malwettbewerb gestartet, eine achtjährige Nürnbergerin zeichnete ein Eichhörnchen mit Trachtenhut und Sporthose und gewann. Das Eichhörnchen, wie Hellmut von Cube geschrieben hat, ist ein auch in bayerischen Gärten vorkommendes Tier, das sich seine Exotik dennoch erhalten hat. "Während kaum jemand den Tauben zuschaut, weil jeder sie längst auswendig kennt, bleiben im Anblick des Eichhörnchens die Leute stehen." Gegen ein Eichhörnchen ist wenig einzuwenden, erst recht nicht gegen ein von einer achtjährigen Nürnbergerin gezeichnetes. Eichhörnchen liegen imagetechnisch auf einer Höhe mit den Sommerferien, Jürgen Klopp oder Vanilleeis. Die meisten Menschen mögen Eichhörnchen. Und dass dieses hier eine Sporthose trägt, mag irritieren, ist aber weniger irritierend als der WM-Löwe Goleo, grad weil der keine Hose trug.

Kolumne "Dackel drauf": Gfreidi, das Maskottchen der European Championships.

Gfreidi, das Maskottchen der European Championships.

(Foto: European Championships/oh)

Das Eichhörnchen der European Championships heißt allerdings Gfreidi, das gibt Abzüge in der B-Note, denn Gfreidi ist abgeleitet vom fordernden "Gfrei di!", bairisch für "Freu dich", eine Spielart des Imperativen, die etwas ältlich rüberkommt. Im Begriff Gfreidi machen sich unangenehme Karl-Moik-Vibes bemerkbar. Die Zeit, in der sogar Programmzeitschriften ("Hör zu!"), Brettspiele ("Mensch ärgere dich nicht!") oder Fruchtbonbons ("Nimm zwei!") nach Befehlen benannt wurden, sind vorbei. Der Name, den das Eichhörnchen Gfreidi trägt, ist also suboptimal, seine Gestalt dafür vom Allerfeinsten. Eichhörnchenschwänze erinnern in ihrer Buschigkeit an Koteletten, wie sie in den Siebzigern und also auch bei Olympia damals in München von zahlreichen Athleten getragen wurden. Und so schlägt das Eichhörnchen von 2022 doch noch einen kunstvollen Bogen zur Zeit des Dackels von 1972, so bringt es die Epochen in Berührung, so sagt Gfreidi "Griaß di" zum Waldi. Mögen die Spiele beginnen.

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