Mit tiefgreifenden Erkenntnissen über die Schönheit der südhessischen Fauna konnte Florian Kohfeldt am Montagmittag nicht dienen. Dazu hatte er auf dem Weg vom Frankfurter Flughafen zum Hotel einfach noch zu wenig gesehen. Ein weitaus klareres Bild scheint der langjährige Werder-Trainer indes bereits nach wenigen Stunden von seinem neuen Arbeitgeber Darmstadt 98 zu haben. Infrastruktur, Geschäftsstelle, das Trainerteam, in dem lediglich Ovid Hajou durch Martin Heck ersetzt wird – alles ganz nach dem Geschmack des Neuen, der „weiß, wie es ist, wenn man einen Verein trainiert, der Region und Stadt so viel bedeutet“.
Auch umgekehrt, so durfte man den Ausführungen der Darmstädter Offiziellen entnehmen, ist die Vorfreude auf die Zusammenarbeit groß. Präsident Rüdiger Fritsch lehnte sich jedenfalls schon mal einige Zentimeter aus dem Fenster, was Dauer und Intensität der künftigen Zusammenarbeit mit „dem Flo“ angeht: „Du kannst dir sicher sein, dass du eine sportliche Leitung und eine Vereinsführung vorfindest, die dir auch in schwierigen Zeiten volle Rückendeckung zukommen lassen wird.“ Kohfeldt selbst scheint sich dessen auch sicher zu sein. Er hat vor, mitsamt seiner Familie von Bremen nach Südhessen zu ziehen.
So viel zunächst zum Blick nach vorn, den Fritsch zu Beginn der einstündigen Pressekonferenz angemahnt hatte. Und bei dem es dennoch auf gar keinen Fall bleiben konnte. Schließlich hat Absteiger Darmstadt ja gerade einen fulminanten Fehlstart in der zweiten Fußballliga hingelegt, mit nur einem Punkt aus vier Spielen. Und die Entscheidung von Kohfeldts Vorgänger Torsten Lieberknecht, trotz eines noch bis 2027 gültigen Vertrages zurückzutreten, war natürlich erst recht erklärungsbedürftig.
Zunächst war gemutmaßt worden, der hochemotionale Ex-Trainer habe im Affekt hingeschmissen, bitter enttäuscht von seiner Mannschaft, die er selbst im schlimmen Bundesligajahr immer wieder tapfer verteidigt hatte. Doch eine reine Übersprungshandlung war sein Rücktritt nach dem 0:4 in Elversberg offenbar nicht – eher das Ergebnis eines Ohnmachtsgefühls: „Wenn Energie und Überzeugung fehlen, wird es schwer“, sagte Sportdirektor Paul Fernie.
Kohfeldt selbst, der eine „nette persönliche Nachricht“ von Lieberknecht erhalten hat, hat sich derweil über Bande, also den gemeinsamen Berater Marc Kosicke, zur Motivlage seines Vorgängers erkundigt. Erfahren hat er dabei offenbar viel Erhellendes, allerdings „nichts, das dagegen gesprochen hätte, hier anzufangen“. Und nein, auch die Tatsache, dass Darmstadt nun im Gegensatz zu seinen früheren Stationen Bremen und Wolfsburg (und dem belgischen Klub KAS Eupen) kein Erstligastandort ist, empfindet der Mann, der 2018 zum „Trainer des Jahres“ gewählt wurde, nicht als „Karriereknick“.
Kohfeldts Ansatz: „Zielgerichteter dominanter Ballbesitzfußball, immer auf der Suche nach Tempoaktionen.“
Derweil dürfte sich der Fußball, den Darmstadt ab dem kommenden Heimspiel gegen Eintracht Braunschweig spielt, einigermaßen radikal vom bislang Gewohnten unterscheiden. Während Lieberknecht ein Freund des Umschaltspiels ist, steht Kohfeldt für den entgegengesetzten Ansatz, den er am Montag wie aus der Pistole geschossen umschrieb: „Zielgerichteter dominanter Ballbesitzfußball, immer auf der Suche nach Tempoaktionen, den Ball so schnell wie möglich wiederbekommen.“ Wenn man bei diesen Worten die Mimik von Fernie richtig deutete, ist das im Übrigen auch genau der Fußball, der ihm selbst für die Lilien vorschwebt.
Dass er gleich mehrfach betonte, der Neue sei sein „Wunschkandidat“ gewesen, scheint also durchaus glaubwürdig. Schon 2017, als Trainernovize in Bremen, ist es Kohfeldt schließlich gelungen, ein konturloses Team mit aktivem, offensivem Fußball zu beleben und damit auch einen Stimmungswandel im Umfeld herbeizuführen. In seinem letzten Trainerjahr an der Weser stieg Werder ab. Dennoch gilt er in Bremen noch heute im Rückblick als einer der maßgeblichen Trainer der jüngeren Vereinsgeschichte, weil er nach den zuletzt bleiernen Jahren unter Thomas Schaaf der erste Trainer war, dem neben Siegen auch der lang ersehnte Stimmungsumschwung gelang.
In dieser Hinsicht wiederum gibt es zwischen Lieberknecht und Kohfeldt interessante Parallelen. Beide sind temperamentvolle Trainer, die ihre öffentlichen Auftritte nicht als lästige Pflichtaufgabe begreifen und die prominente Nebenrolle als Außenminister ihrer Arbeitgeber durchaus mit Freude versehen. So dürfte es in den vergangenen drei Jahren kaum einen Fußballinteressierten gegeben haben, der beim freien Assoziieren mit dem Stichwort „Darmstadt 98“ nicht zuerst an dessen Trainer gedacht hätte. Wenn es nach den Darmstädter Offiziellen geht, soll das auch künftig so sein. Nur eben mit Kohfeldt statt Lieberknecht.